Political Reading — “Analyse der Wohlstandsgesellschaft”

Inhaltsverzeichnis

  1. Einführung
  2. Dass hier weder Philosophie noch Literatur betrieben wird, sondern die Politik des Volkes
  3. Dass um das gekämpft wird, was nicht existiert
  4. Von der Situation der Entwicklung und ihren Grenzen
  5. Davon, wie das fremde Elend das eigene ist
  6. Vom Akzeptiertwerden der Substitute seitens der Mehrheit
  7. Davon, wie sich die Dinge in Geld verwandeln und das Geld zum Erben der Dinge wird
  8. Vom Kriterium der Rentabilität und der Identität von Kapital und Staat
  9. Davon, wie der Begriff “Öffentlicher Dienst” seine Bedeutung verloren hat
  10. Von der Verfälschung der Steuererhebung
  11. Göttliches Geld und menschliches Geld
  12. Vom Menschen, wie die Banken und der Staat ihn lieben
  13. Von der universellen Prostitution
  14. Vom Wert der persönlichen Signatur
  15. Von der notwendigen Bescheidenheit der leitenden Angestellten
  16. Dass die Befreiung vom Geld die Befreiung von der Person voraussetzt
  17. Von den Gewerkschaften zur Psychoanalyse
  18. Wie einfach es ist, das Regime zu stürzen
  19. Was könnte den Stimulus des Geldes ersetzen?
  20. Vom Kriterium der Nützlichkeit und von den Maschinen
  21. Dass man das Gute nicht auf den Müll kippen darf
  22. Wer hat die Staaten nötig?
  23. Die Schlange und die Taube
  24. Von der Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem
  25. Der Spiegel, den uns die Aussenbezirke der Entwicklung vorhalten
  26. Nicht mit den Zeiten gehen

Anmerkung: Die Anmerkungen des Übersetzers erscheinen am Ende eines jeden Kapitels.

Einführung

Dies ist eine Zusammenstellung einer Serie von Attacken gegen das Regime, die vom 4. August bis zum 5. Oktober dieses Jahres(1) regelmässig im DIARIO 16(2) erschienen sind.

Etwa seit dem Ende des vorigen Jahres sahen wir uns einer personalisierten Aufmerksamkeit von Seiten der Inspektoren des Finanzamtes ausgesetzt (als solche zumindest, also als personalisierte, habe ich verräterischerweise einige Produkte und Dienstleistungen der Aktualität angepriesen gesehen), was uns, um ehrlich zu sein, in eine sehr lästige Niedergeschlagenheit und Melancholie versenkt hatte; denn wenn bereits jede auf uns persönlich gerichtete Aufmerksamkeit (dieses alltägliche Verbrechen, einen zu kennen) dazu führt, dass man in dem Elend versinkt, einer zu sein, egal ob die Absicht nun darin besteht, uns zu preisen, oder darin, uns schlechtzumachen, dann können die Ergebnisse jener Verwaltungstätigkeit, wenn diese Aufmerksamkeit sich auf eine so intime Angelegenheit bezieht wie den Umgang mit dem Geld (der den Mutmassungen der Freud’schen Analyse zufolge ja eigentlich der Umgang mit der Scheisse ist, und zwar mit der eigenen und mit der staatlichen in einem) — dann können die Ergebnisse jener Verwaltungstätigkeit, wenn es ihr nicht gelingt, einen zum herrschenden Glauben und zum Gesang des Credo in unum Deum zu bekehren, für den Versuch, der Welt zum Trotz, wenn auch nicht weiterzuleben, so doch zumindest weiterhin etwas zu tun, nur verheerende Auswirkungen haben.

Und somit ist es auch nicht verwunderlich, dass wir diesen Verwaltungsakt keinesfalls resigniert auf dem Klosett der Privatsphäre beliessen, sondern, indem wir ihn mit einem Kunstgriff in das Licht der Öffentlichkeit stellten, es dazu brachten, halb mit Absicht und halb ohne es zu wollen, einen Aufruhr zu provozieren, der die Medien ungefähr zwei Monate lang in Bewegung und Beschäftigung versetzte und über den man sich am Ende vielleicht sogar freuen sollte: denn dank seiner haben sich eine Reihe von widersprüchlichen Einstellungen zu Wort gemeldet, sowohl seitens der relativ offenen Leute als auch seitens derer, die sich an den Meistbietenden verkaufen, bezüglich des Verhältnisses der Personen zum Finanzamt und zum Staat und bezüglich des eitlen Widerspruchs zwischen Politik und Moral.

Diese Serie hatte vor jenem Aufruhr zu erscheinen begonnen; aber es gibt keinen Grund zu leugnen, dass jene Aufmerksamkeiten des Finanzamtes als Anreiz dazu hätten dienen können, mit dieser Analyse zu beginnen und sie fortzusetzen. Sodass man also als dankbarer Leser ausgerechnet die Funktionäre des Fiskus zu ihrer Initiative zu beglückwünschen hätte.

Hier findet man möglicherweise auch den Berührungspunkt der beiden Grundrichtlinien, die die Serie zu leiten scheinen: (a) jedes Ausweichen auf andere Formen der Tyrannei zu vermeiden und die Attacken ausschliesslich auf das Geld zu konzentrieren, das sich am Ende als die wirkliche Gestalt der Macht erwiesen hat; und (b) die Trennung zwischen dem persönlichen und dem öffentlichen Leben aufzugeben und aus der Person ein Thema der Politik des Volkes zu machen.

Das bedeutet zu sprechen; und schlimmer noch, es bedeutet, zu schreiben und zu drucken, in Zeitungen oder in Büchern. Aber da das Reich des Herrn weder ewig noch vollkommen ist, können sogar aus den toten Buchstaben wieder lebendige Worte hervortreten, insoweit als es uns hier gelingen mag, etwas zu sagen, was nicht das bereits Befohlene und Gesagte ist, oder etwas von dem zu berühren, was die Leute im Untergrund ihres Gewissens und ihrer Person fühlen; und diejenigen Worte, die keine Sklaven der Kultur und der Ideen sind, sind gemeinschaftliche Sprache und Gemeinsinn, also das, was immer das sagt, was es tut, und immer das tut, was es sagt.

Lieber Leser, schätze diese Überlegungen nicht allzu gering, aber schenke ihnen ebensowenig Deinen Glauben: erlaube ihnen vielmehr, in Dir und ausserhalb Deiner das auszurichten, was sie auszurichten vermögen!

Anmerkungen:

  1. Es muss sich um das Jahr 1993 handeln, in dem die erste Auflage dieses Buches gedruckt wurde.
  2. Eine nicht mehr existierende, spanische Zeitung.

Dass hier weder Philosophie noch Literatur betrieben wird, sondern die Politik des Volkes

Aufgrund der Überlegung, dass die Noticias de abajo,(1) die Avisos para el derrumbe(2) und die Serie der Noes,(3) die wir in El País(4) mit Ach und Krach ans Licht gebracht haben, vielleicht einigen, da sie sie zum Lachen brachten, nicht ernsthaft genug erschienen, haben wir uns zu dem Versuch entschlossen, durch Vermittlung und mit finanzieller Unterstützung dieses anderen ehrwürdigen Presseorgans nach und nach eine genaue Beschreibung dieser Welt, in der wir leben, zu formulieren, und dies mit etwas weniger Lachen; das heisst: ein trockenes und schlichtes Denunzieren der hauptsächlichen Falschheiten, auf deren Grundlage diese Welt ihr Dasein fristet.

Man muss gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass es in dieser Welt der Fortentwicklung, die die Funktionäre des Finanzamtes und der Banken bereits die Wohlstandsgesellschaft zu nennen gelernt haben, auch die Philosophie und die Literatur zum prächtigsten Blühen und Gedeihen gebracht haben (an der Seite der Wissenschaft, die sie respektvoll in ihren Aufgaben ergänzen), und dass diese also im Wohlfahrtsstaat die Stellung bekleiden, die sie verdienen. Wenn die Klatschtanten sich ihr Leben fast vollständig mit der Bildschirmliteratur ausgefüllt haben und sogar der kleinste und grünschnäbeligste aller Funktionäre von der Unternehmensphilosophie oder von der des neuen Ministeriums zu sprechen versteht, braucht man zum Beweis jener Tatsache kaum noch nachdrücklicher darauf zu bestehen.

Aus diesem Grunde sollten die in diesen Geschäftsbereichen Arbeitenden (und ebenso, ohne weitere Unterscheidung, die Produzenten von Philosophie und feiner Literatur für die Massen der Auserwählten) das verstehen, was zu verstehen ihnen keinen Genuss bereitet: dass sie nämlich, wenn sie Literatur oder Philosophie herstellen, dabei sind, Politik zu machen, und zwar die Politik der Konformität, ganz egal, ob sie die Vorfälle des menschlichen Lebens so behandeln, als ob es Dinge wären, die uns passieren, weil sie uns passieren müssen (die Realität, mein Sohn: was dachtest du denn?), also wie Blumen, ein wenig missgebildete Blumen, die auf eigene Faust auf den Feldern der Geschichte zur Welt gekommen sind (und, wie der gute Brassens(5) kommentierte, “das Gesetz der Schwerkraft ist hart, aber es ist das Gesetz”) — oder ob sie sich der Aufgabe widmen, ihre Leser mit Geschichten zu unterhalten (oder ihre Fernsehzuschauer — das läuft auf dasselbe hinaus), während diese wenigen Jahre verstreichen: mal sehen, ob sie sterben, ohne sich dessen bewusst geworden zu sein.

Und deswegen, wenn jemand auf den Einfall kommt, mit der Stimme des Volkes zu sprechen, für das Unterworfene und nie vollständig gefügig Gemachte zu sprechen, dann kann dieser weder Philosophie noch Literatur produzieren, was nämlich hiesse, die Politik ebenjener Leute zu machen, sondern was kann er wohl sonst? Nun, Politik machen natürlich, aber die andere, die entgegengesetzte!

So kraus und verworren? Nun gut, am Ende leistet einem dabei die hier unten vor sich hinmurrende Stimme des armen Volkes Beistand, das, da es niemals stirbt, auch keinen Grund hat, sein Leben mit dem Zählen der Zeit zu verbringen, und es kommt einem ebensosehr das offensichtliche Indiz zur Hilfe, dass diese Welt ausschliesslich auf dem Glauben (das heisst, auf dem Kredit) aufgebaut ist, in anderen Worten, auf der Lüge; und dagegen hat die Sprache des ungefügigen Volkes immer eine gewisse Wirkung.

Anmerkungen:

  1. “Nachrichten von unten”.
  2. “Ratschläge für den Zusammenbruch”.
  3. “Neine”.
  4. Eine spanische Zeitung, in der der Autor mehrere Artikelreihen veröffentlicht hatte, die später unter den soeben erwähnten Titeln als Bücher neu publiziert wurden.
  5. Georges Brassens war ein französischer Chanson-Sänger und Komponist, der im Jahre 1921 geboren wurde und im Jahre 1981 starb.

Dass um das gekämpft wird, was nicht existiert

In dieser Analyse und Studie, so führten wir aus, leitet uns von dort untenher das Volk, insoweit es immer noch am Leben ist. Gut und schön, es stellt sich nun aber heraus, dass das Volk, da es nun mal nichts anderes ist als etwas Negatives (was keine Personen enthält, was nicht die Demokratische Mehrheit ist, sondern das Gegenteil, nämlich alle; in einem Wort, was nicht existiert, weil es etwas Besseres zu tun hat, das arme), logischerweise nichts anderes als NEIN sagt: dass dies nicht das Leben ist, dass dies nicht jenes war, dass ich nicht glaube, Herr, dass ich nicht glaube, und dass ich, auch wenn ich wie der Esel bei Tomás de Iriarte(1) das Stroh fresse, das man mir vorwirft, nicht vergessen habe, worin das Korn besteht; und so weiter, die ganze Reihe der NEINE hindurch, die von Zeit zu Zeit täglich aus den Herzen hervorspriessen (aus den Herzen, meine Dame: verwechseln Sie das nicht mit dem Seelchen, das Sie in Ihrem Kommödchen aufbewahrt haben, denn dieses sagt nicht NEIN).

Und sodann, da sich die Sache nun so verhält, wie sollte uns dieses reine NEIN bei irgendeiner ernsthaften Analyse oder Studie der Wohlstandsgesellschaft inspirieren oder anleiten? Sollen wir uns etwa damit zufriedengeben, zu jeder beliebigen Sache, die man uns anbietet, in einem fort NEIN zu sagen? Sind wir mit dieser Analyse etwa nicht dabei, um etwas Positives zu kämpfen? Haben wir etwa nichts, worum wir kämpfen wollen?

Du liebe Güte, also, wenn man uns soviele Fragen stellt, werden wir darauf wenigstens etwas antworten müssen, nicht wahr? Ja: Auch hier kämpfen wir um etwas. Und um was für eine Sache kämpfen wir? Nun, wir kämpfen um das, was nicht existiert, das ist doch klar. Was wäre sonst der Witz dabei? Für den Kampf um das, was existiert, sind ja schon Jene da, die Leitenden Angestellten des Wohlfahrtsstaates, und um dieses kämpfen sie jeden Tag und stellen sicher, dass jeder Bürger um dasselbe kämpft: um das, was existiert, was dasselbe wie das ist, was ihm zuträglich ist, da ja auch er ein Recht auf Existenz hat, der Mensch.

Sodass also all die, die mit diesem, was existiert, eine so grosse Zufriedenheit verspüren und es so sehr lieben, dass sie dazu bereit sind, bis zu ihrem Tode dafür zu arbeiten, dass es sich weiter fortentwickelt, dass es auf diese Art und Weise weiterbestehen kann; wenn sie sich der Realität so sicher sind und der Tatsache, dass das, was ist, das ist, was es ist, und dass es keine andere Möglichkeit gibt; wenn sie so sehr an diese Realität glauben, dass sie ihr die Realität ihrer Seelchen, des Seelchens von jedem einzelnen, ausgeliefert haben — dann werden diese Leute nicht viel zu lesen oder auf diese Analyse ihrer Gesellschaft zu antworten haben: denn hier sind wir im Kampf um das, was nicht existiert, weil wir denken, dass wir von dem, was existiert, die Schnauze voll haben, und dass es die Mühe wert ist, zu sehen, ob man das Leben und die Vernunft nicht dazu nutzen kann, etwas zu machen, was nicht das ist, was bereits fertiggestellt worden ist.

“Er hat mehr Glauben als der letzte Dorftrottel!”, werden vielleicht einige sagen, indem sie mitleidig ihre Köpfe schütteln.

Glaube? Aber nein, mein Herr; und diesen Punkt sollten wir tunlichst deutlich aufklären, bevor wir weiter fortfahren. Überhaupt kein Glaube: was für diesen Kampf nötig ist, ist vielmehr ein grosser Mangel an Glauben: das Fehlen des Glaubens, den diejenigen haben, die an die Wohlstandsgesellschaft und an die Realität im allgemeinen glauben, welche sich nämlich nur auf der Grundlage des Glaubens (der Mehrheit) aufrechterhält; denn was existiert, existiert nur infolge des Glaubens.

Aber ein gewisser Mangel an Glauben ist schon ausreichend dafür, dass wir zu verstehen beginnen, wie das, was uns hier zustösst, beschaffen ist, und dafür, dass wir fortfahren mit dem Kampf um das, was nicht existiert.

Anmerkungen:

  1. Tomás de Iriarte, der im Jahre 1750 geboren wurde und im Jahre 1791 starb, war ein für seine Fabeln bekannter, spanischer Schriftsteller.

Von der Situation der Entwicklung und ihren Grenzen

Als erstes wollen wir rekapitulieren, wie im Erdkundeunterricht, wo die Entwicklung sich befindet und welches ihre Grenzen sind.

Sie befindet sich inmitten der restlichen Welt, der nicht entwickelten, deren geographische Verbreitung und Bevölkerungszahl, so wird unterstellt, immer noch den grössten Teil ausmachen. Aber das hat für die Entwicklung keine allzu grosse Bedeutung, denn sie weiss, dass dieser Rest von Ländern und Völkern sich ebenfalls mehr oder weniger auf dem Wege der Entwicklung befindet, und dass für sie auf jeden Fall keine andere Zukunft, kein anderes Ideal und keine andere Aspiration möglich ist als die, nach ihrer Integration in die Wohlstandsgesellschaft zu streben.

Was bedeuten schon die Weiten der Antarktis oder Sibiriens, die immer noch Widerstand leistende, grüne Masse des Amazonas oder die immer noch halb vergessenen, unzähligen Inselchen Polynesiens? All dies hat man schon in Rechnung gestellt, und die Entwicklung hat ihre Pläne und Absichten damit, und es ist, wie alles andere, dazu bestimmt, den Bewegungen des Kapitals als Materie und Millionen von neuen Arbeitsplätzen als Anlass zu dienen. Was macht es schon, dass die Einwohner Chinas oder Indonesiens so und so viele Millionen sind, oder dass es im Iran oder im Herzen Afrikas immer noch diese oder jene Überreste von religiösem Fanatismus oder archaischen Regimen gibt? All dies ist ja doch schon dazu bestimmt, sich auf diesen selben Zielpunkt hinzubewegen, und wenn die chinesischen oder afrikanischen Studenten sich gegen den althergebrachten und brutalen Zustand ihrer Nationen auflehnen sollten, so wird es niemals um eines anderen Zieles willen sein (in diesem Glauben leben wir), als um nach eben diesem zu streben, nach der Entwickelten Demokratie und nach dem Wohlfahrtsstaat.

Es ist zwar nicht zu leugnen, dass es in diesen Aussenbezirken der Entwicklung mit der Entstehung lästiger und misslicher Umstände kein Ende nehmen will: es vergeht kein Tag, an dem sich uns dort, ausserhalb der Entwicklung, und in besonders bitterer Form in den dem Wohlstand am nächsten gelegenen Gebieten (Naher Osten, Zentralamerika, Somalia, die Ruinen der sozialistischen Staaten), nicht haarsträubende Hungerepidemien und verheerende Kriege auf kleiner Flamme darbieten — wozu sollen wir hier mehr davon erzählen? — : die kleinen Bildschirme und die grossen Papierflächen der Presse sind ja alle Tage voll davon, denn das ist es schliesslich, was (zusammen mit den Film-Epen über die grossen Kriege von ehemals) den Massen als Kontrastprogramm angeboten wird, damit sie sich ihren eigenen Wohlstand zu Bewusstsein führen können.

Aber das hat weiter keine Bedeutung: wir verstehen es, all dieses ebenfalls mit Verständnis zu behandeln (ohne uns natürlich allzusehr mit der Frage aufzuhalten, wo diese verzweifelten Hungersnöte und diese Art von archaischen und ungebändigten Kriegen herkommen könnten): es sind die Schmerzen der Geburt, die Konvulsionen, die notwendig sind (haben wir das nicht alle eines Tages durchgemacht?), um am Ende dieses zu erreichen, nämlich den Wohlstand. Und wir verstehen es sogar, diese Dinge mit schreckerfülltem Mitleid und mit humanitärer Hilfe zu behandeln (ganz unzureichend, ist ja klar, aber was sollen wir da schon machen, mein Sohn? — so schnell, wie diese Armen sich vermehren...), vermittels der politischen Instrumente natürlich (oder vielleicht der ökonomischen: wozu sollen wir uns mit solchen Unterscheidungen belasten?), vermittels der politischen Instrumente der Entwicklung.

Gut und schön: es ist aber nun genau an dieser Stelle, wo eine grundsätzliche dialektische Verwechslung vorliegt, die es so schnell wie möglich ins rechte Licht zu stellen gilt: man denkt (oder besser gesagt: man glaubt), dass wir, die wir uns im Wohlstand aufhalten, auch dann, wenn der Wohlstand auf der Basis von etwas anderem konstruiert worden und von millionenfachem Elend umgeben ist, mit mehr oder weniger starken Gewissensbissen ebendiesen Wohlstand geniessen könnten, ohne dass jene äusseren Umstände die Qualität des von uns genossenen Wohlstandes im geringsten beeinträchtigen würden.

Aber das ist nicht der Fall. Und da diese Lüge von grosser Bedeutung ist, werden wir im folgenden Kapitel untersuchen müssen, auf welche Weise das Elend der Vorstädte die Form des Reichtums beeinflusst, der im Zentrum genossen wird.

Davon, wie das fremde Elend das eigene ist

Dies ist ein Punkt elementarer Dialektik: Die Überzeugung, dass einer den Reichtum inmitten des Elends (der anderen) geniessen könne, ohne dass der eigene Reichtum durch das Elend, das ihn umgibt, am Ende verändert würde, ist eine ganz falsche, aber gleichzeitig fundamental notwendige Überzeugung für die Handhabung und Instandhaltung der Entwicklung.

Wenn man dies richtig verstehen will, muss man sich jeder Berufung auf das Gewissen und auf den Willen enthalten; anderenfalls landet man bloss mit allem wieder in derselben Konfusion. Wenn die sich rächenden Elenden auf die persönlichen oder staatlichen Gewissensbisse der Ausbeuter angewiesen wären, und darauf, dass jene Gewissensbisse diesen ihre schönen Träume verderben und den Wohlgeschmack ihrer Bankette in Bitternis verwandeln, wie dumm würden die Elenden da aus der Wäsche gucken! Als ob es nicht bekannt wäre, dass der Ausbeuter nur deshalb Ausbeuter ist, weil er über eine Idee verfügt, die ihn rechtfertigt und ihm das Gewissen reinigt!

Nein, sondern diese Rache ist eine dialektische Beziehung im objektiven Sinne: sie wirkt nicht durch die Gewissen, sondern greift die Sachen selber an, die Konsumgüter der Wohlstandsgesellschaft, die sich am Ende, kraft des Verhältnisses zwischen der Entwicklung und dem in ihrer Umgebung herrschenden Elend, als in ihrer Realität selber verändert und entstellt erweisen.

Es ist natürlich klar, dass dieses Gesetz bereits vor den Zeiten der Entwicklung regierte. Schliesslich ist die Entwicklung nichts anderes als die gegenwärtig stattfindende Absichtserklärung der gesamten Geschichte. Man wusste schon zu Zeiten der Grossväter, des Grossvaters Marx zum Beispiel, dass der Reichtum des Bourgeois nichts anderes ist als ein Produkt des Elendes der Arbeiter (des Verkaufs ihres Lebens); und man wusste später, als um die fünfziger Jahre herum gegen den Neokolonialismus und die sonstigen alten Kunstgriffe der Ausbeutung protestiert wurde, dass ebenso auch der Reichtum der reichen Länder (“Länder” sagte man natürlich aus Heuchelei, um nicht “Staaten” sagen zu müssen) aus dem Elend der armen Länder bestand, die, genau wie vormals die alten Proletarier, desto ärmer wurden, je mehr sie im Dienste der Bereicherung der anderen standen.

Aber das Denunzieren all dessen war mit einem Irrtum behaftet, der nun, auf dem Höhepunkt der Entwicklung, evident geworden ist: man glaubte, dass zumindest die ausbeutenden Spiessbürger oder die reichen Staaten doch in den Genuss der Elendserzeugnisse kamen. Es waren Anklagen, die mit Moral beladen und daher für das Volk politisch verkehrt waren, und vor allem waren sie unwahr: sie boten nämlich keinen Widerstand gegen die Verwandlung des Kapitals (um aber trotzdem das Alte zu bleiben) im Sinne der Entwicklung. Die Entwicklung wird zumindest einmal dazu gedient haben, ihre eigene Falschheit zu demonstrieren: in ihr haben sich die blosse Idee des persönlichen Geniessers, und ebenso die des persönlichen Ausgebeuteten, selbst an den Pranger gestellt. Wer ist der Ausgebeutete? Der Arbeiter der Entwicklung, mit Auto, Eigenheim und Bankkonto? Wer ist der Ausbeuter? Der leitende Angestellte (des Staates oder des Kapitals, das ist egal), der mehr arbeitet als irgendwer sonst?

Die Idee selbst der Ausbeutung war trügerisch: sie war nichts anderes als eine unbeholfene und Verwirrung stiftende Anspielung auf die wirkliche dialektische Beziehung, die zwischen “Reichtum” und “Armut” besteht.

Nein, sondern in dem Masse, in dem sich die Verwaltung des Elends fortentwickelt, transformiert sich auch genau der Reichtum, der das Objekt ihres Strebens bildete, er wird schlapp und elendig, er verdirbt und schwindet dahin; und es ist dort, wo die Rache der Elenden stattfindet: sie richtet sich gegen die Güter selbst.

Worin dieses Verderben und Dahinschwinden des Reichtums besteht, dem der Reichtum in der Wohlstandsgesellschaft unterworfen ist, das werden wir, versuchsweise, im folgenden Kapitel zu beschreiben beginnen.

Vom Akzeptiertwerden der Substitute seitens der Mehrheit

Sodass also die Armut, auf deren Grundlage sich die Entwicklung aufrechterhält, nicht als schlechtes Gewissen der Personen in Erscheinung tritt, sondern als schlechte Qualität der Sachen selbst.

Und worin besteht nun diese schlechte Qualität? Denn in Wirklichkeit ist es doch so, dass die Personen mit den Gütern des Wohlstandes in allgemein eingestandener Weise zufrieden sind, und zwar in einem solchen Masse, dass es manchmal scheint, als ob jenes Wort “Jede beliebige Epoche der Vergangenheit war besser” für die Untertanen der Entwicklung gar nicht mehr gültig wäre: es ist fast, als ob jenes “Jede beliebige Epoche der Vergangenheit...” selbst einer vergangenen Epoche angehörte und jetzt die Zufriedenheit mit der Gegenwart für uns an der Reihe wäre, oder warum nicht gleich die mit der Zukunft: man weiss ja, dass diese gegenwärtige Zeit schon fast gänzlich Zukunft geworden ist, aber wenn sie uns nun nichtsdestoweniger Gefallen bereitet?

Nur von Zeit zu Zeit hört man, wie im Untergrund die Beschwerde knurrt; nicht die der Personen, sondern vielmehr die der Leute, die sich eingestehen, dass dies nicht jenes ist, dass die Güter des Wohlstandes nach Leere schmecken, man hört den Verdacht, dass die Entwicklung sie über’s Ohr haut, dass das Kaninchen nicht mehr nach Kaninchen und die Forelle nicht mehr nach Forelle schmeckt, und andere flüchtige Ressentiments in diesem Stile; aber auch an diesen flüchtigen Ressentiments müssen wir uns inspirieren: es ist so aussergewöhnlich, dass man unterhalb der Personen die Leute reden hört...

In der Tat: das gesamte Management des Wohlstandes besteht letzten Endes aus der Technik des Substituts. Man darf nicht vergessen, dass der Ersatz(1) eine Erfindung des Krieges war und der Knappheiten der längst vergangenen Nachkriegsperioden; aber diese Erfindung ist der Ausgangspunkt der allgemeinen Verbreitung des Substituts, die dem Wohlstand als Grundlage dient.

Auch wenn die Sachen, die Konsumgüter, manchmal ihre traditionellen Namen beibehalten, wenn nämlich gerade keiner auf die Idee kam, den Neuen Namen hervorzuziehen, um damit den überwundenen Namen zu verdrängen und auszulöschen (wie jener leitende Angestellte Gottes, der vor Jahren einen der üblichen Schnitzer der Entwicklung zum Besten gab und erklärte, dass die Autobahn keine Strasse sei und dass das, was man nötig habe, ein Konzept der “Autobahn” sei), — der springende Punkt ist der, dass es keine Sachen mehr sind, sondern Repräsentanten der Sachen, mit denen sich die Untertanen der Entwicklung ernähren und zerstreuen müssen, als ob es Sachen wären.

Und selbstverständlich geschieht dasselbe wie mit den Substantiven auch mit den Verben: es wird nichts mehr getan, man reist nicht, man trinkt auch nicht, man schläft nicht einmal mehr, noch vögelt man direkt, sondern was man realisiert ist die Idee von jeder dieser Aktionen, die wir eben zu diesem Zweck in unserem Wortschatz haben.

Es gibt ein paar mögliche Einwände, denen man sogleich entgegentreten muss: so ist es unerheblich, dass die Qualität von manchen Konsumgütern nichtsdestoweniger auch auf dem Höhepunkt der Entwicklung wirklich gut und vielleicht sogar ganz ausgezeichnet ist; und ebenso wenig Bedeutung hat es, dass es auch im Reiche des Wohlstandes ein paar arme Teufel gibt, die nicht herunterschlucken wollen, die die Sache nicht durch das Substitut zu ersetzen verstehen, und die folglich der Ausgrenzung und dem archaischen Elend zum Opfer fallen; und dass es ebenso ein paar Schlauköpfe gibt, die sich nicht über’s Ohr hauen lassen und hinterlistigerweise tatsächlich in den Genuss von einigen Dingen kommen, oder sich zumindest ein paarmal, inmitten der zur Normalität gewordenen Substitute, tatsächlich an irgendeiner Sache berauschen, zu der sie von einem Rest von Gemeinsinn hingeleitet worden sind.

Dies ist unwichtig: denn was für das Regime des Wohlstandes wichtig ist ist, dass die Mehrheit (und in der Mehrheit der Fälle) von den Substituten lebt, die Wohnungen für Häuser hält, die Kunststoffe Gewebe nennt, nicht danach strebt, sich einen Chauffeur oder Eisenbahnwaggon leisten zu können, sondern danach, selbst den Chauffeur zu spielen, und dass ihr das Gefallen bereitet, dass sie den Krach Musik nennt...

Was wichtig ist ist dies, dass man eine Idee hat von dem, was man tut, und dass deswegen das, was ausgeführt wird, diese Idee ist.

Aber wie es zu dieser Unterschlagung kommt, das versteht man natürlich erst dann richtig, wenn man vom Geld spricht...

Anmerkungen:

  1. Der Autor verwendet das deutsche Wort.

Davon, wie sich die Dinge in Geld verwandeln und das Geld zum Erben der Dinge wird

Sprechen wir also vom Geld, oder besser gesagt, von der Wirklichkeit. Denn welche Sache ist schliesslich wirklicher als das Geld?

Es ist nicht zu leugnen, dass diese Realität des Geldes etwas Beunruhigendes an sich hat; denn einerseits redet man uns in einem fort ein, dass das Reale etwas Hartes, Greifbares und Verzehrbares sei (einige bezeichnen das Geld sogar als materiell, wenn sie nämlich die, die sich dem Geld widmen, als Materialisten bezeichnen), und andererseits ist es klar, dass das Geld diese Bedingungen des Greifbaren, Harten und Materiellen in gar keiner Weise erfüllen kann. Der Geizhals von ehemals tauchte seine Hände noch in die Kühle der Goldstücke; Angela Carters Daisy Delaney (Wise Children, 1991) konnte ihren Liebhaber, den Grossen Produzenten, in den letzten Jahres des Riesengeschäftes von Hollywood immer noch dazu bringen, ein paar Koffer voll von Millionen von Dollarscheinen aus der Bank zum Hotel zu bringen, um sie auf dem Bett auszuleeren und sich in ihnen herumzuwälzen; aber wen gibt es schon heute, auf dem Gipfelpunkt der Entwicklung, der sich noch in einem Guthaben wälzen könnte, in einem monatlichen Kontoauszug oder in einer Handelsbilanz zwischen den Einfuhr- und den Ausfuhrziffern der Wohlfahrtsstaaten?

Es gibt keine weniger materielle, idealere, abstraktere, sublimere Sache als das Geld in seinen am weitesten entwickelten Formen. In Wahrheit besteht sein Wesen, wie es einem so hohen Grad von Idealität angemessen ist, nur aus den Zahlen, die ihn nennen: man sagt “8.000.000.000”, und was auch immer dahintergesetzt wird (Pesetas, Dollar, Tonnen Zitrusfrüchte, Köpfe Vieh, Einwohner der Hauptstadt), ist ein blosser Zusatz, ein Vorwand für die Ziffer, die das ist, was tatsächlich das ätherische Wesen des Geldes bezeichnet.

Gut und schön: wir wollen uns aber nicht täuschen lassen und dem Geld das Wirklichsein absprechen; ganz im Gegenteil, das einzige, wozu uns diese Überlegungen führen können, ist, die monetäre und daher, dem zuvor Gesagten zufolge, die ideale Wirklichkeit zu verkünden. Und so sieht die Wirklichkeit aus.

Die Sachen sind verschwunden. Das Geld, das der Repräsentant der Sachen war, hat sich selbst in eine Sache verwandelt, in die Sache aller Sachen: es ist die Realität. Welche andere Realität gibt es ausser der des Geldes?

“Nun kommen Sie uns doch nicht mit solchen Tricks”, so könnte irgendein Wirtschaftswissenschaftler mit altertümlichen Ideen über die Wirtschaft argumentieren, wie es der Entwicklung ja überhaupt in den Kram passt, dass sie altertümlich sein sollen, die Ideen ihrer Ökonome, “denn es steht doch wohl fest, dass das Geld seinen Wert behält, weil es nach wie vor Sachen repräsentiert, denn vermittels seiner hat man Zugriff auf die Konsumgüter, auf die Hummer und auf die Stereoanlagen”. Und zugegeben, das wäre ganz richtig, wenn es möglich wäre, dass die Sachen, während sich das Geld in eine Sache verwandelt, nicht ihrerseits der dialektischen Beziehung im umgekehrten Sinne unterworfen würden.

Aber dies ist eben nicht möglich; und was wir sehen und fühlen ist dies, dass sich die Dinge, wie es ihnen zukommt, ihrerseits in Geld verwandelt haben. Oder anders gesagt, dass das, was Sie tun, meine Dame, wenn Sie zum Supermarkt gehen, nichts anderes als ein Umtausch von gewissen Formen des Geldes in andere ist, dass es nichts anderes als das ist, was Sie tun, wenn Sie zur Bank gehen, dem Geschäft aller Geschäfte, wo, gerade weil dort nichts Greifbares verkauft wird, die Wirklichkeit aller Wirklichkeiten verkauft wird, was dasselbe ist wie die, die man dort kauft.

Ich nehme an, dass jene Leerheit der Güter des Wohlstandes, von der wir beim letzten Mal sprachen, jetzt ein wenig verständlicher geworden ist, also jener Prozess, in dem die Dinge und die Tätigkeiten durch eine Idee ihrer selbst ersetzt werden. Die Idee war diese: das Geld, die Idee der Ideen.

Aber dieser Prozess betrifft natürlich die Personen ganz genauso wie die Sachen: denn lassen Sie uns doch sehen, sind Sie nicht genauso wirklich wie der Hummer, den Sie sich gekauft haben, oder die compact disc, die Sie Ihrem Töchterchen bringen? Sodass also auch dies noch ein Thema ist, über das wir sprechen müssen.

Vom Kriterium der Rentabilität und der Identität von Kapital und Staat

Jawohl, wir werden über die Personen sprechen müssen, die, da sie real sind, ebenfalls in Wirklichkeit Geld sind. Aber zuvor muss man versuchen, sich von gewissen Irrtümern zu befreien, die aufgrund falscher Unterscheidungen entstanden sind und im Wohlstand nach wie vor die allgemeine Vorherrschaft geniessen, und zwar zur Ablenkung der Vernunft und damit diese, damit beschäftigt, immer noch solche Fragen zu diskutieren wie die nach “privat” oder “öffentlich” oder nach “staatlicher Verwaltung” oder “Privatisierung der Dienstleistungen”, niemals die wahren Unwahrheiten entdeckt, auf deren Grundlage der Wohlstand sein Dasein fristet.

Es ist nämlich so, dass schon sehr viel Zeit verstrichen ist, seitdem das Private Unternehmen und die Öffentliche Verwaltung ihre Ehegemeinschaft in einem solchen Masse intensiviert haben, dass sie nunmehr ein Herz und eine Seele geworden sind und das eine von der anderen in Wirklichkeit nicht mehr unterschieden werden kann; fern von jenen Zeiten des Grossvaters Marx, der noch zwischen dem ausbeuterischen Kapitalisten und den Politikern, den Wachhunden des Kapitals, differenzieren konnte.

Und nichtsdestoweniger herrscht in dieser Welt nach wie vor die Vorstellung von der Trennung zwischen dem einen und dem anderen, die Idee, dass irgendetwas auf dem Spiel stehe, wenn davon gesprochen wird, dass der Staat für dieses oder jenes Unternehmen die Verantwortung übernimmt oder dass diese oder jene staatlichen Institutionen einem Privatunternehmen anvertraut werden; und dies trotz ihrer Leere, oder vielmehr gerade aufgrund ihrer Leere, bis wir es zu einer affektierten Albernheit gebracht haben wie der, dass es irgendeinen Unterschied zwischen einem staatlichen und einem privaten Fernsehen geben könnte; als ob es nicht hinreichend bekannt wäre, was das Fernsehen ist!

Tatsache ist aber, dass Staat und Kapital ein und dasselbe sind und nur der Verstellung wegen zwei verschiedene Dinge; und die Politiker und Bankangestellten sind auch dasselbe, und es gibt niemanden, der zwischen Gottes leitenden Angestellten im Unternehmen und denen im Ministerium (oder in den Gewerkschaften) unterscheiden könnte (oder nur Gott selber kann es),(1) wie es auch gar nicht anders möglich ist, werden doch das eine und das andere von ein und demselben aufrechterhalten und in Bewegung gesetzt: von ein und demselben Glauben an die Zukunft, von ein und derselben Idee, vom selben Idealismus, das heisst, vom selben Vertrauen zum Geld als zur Realität aller Realitäten.

Und der Prüfstein für das Eingeständnis der Identität von Kapital und Staat und der Falschheit der heute gültigen Unterscheidung zwischen ihnen ist das Kriterium der Rentabilität. Dieses können wir jeden Tag dabei beobachten, wie es unterschiedslos in den staatlichen Institutionen ebenso wie in den privaten angewendet wird, und zwar auf immer unverschämtere Art und Weise; wie es auch gar nicht anders zu erwarten ist, weil jenes Wort “Vom Geld spricht man nicht, mein Kind” eine Sache der alten Bourgeoisie war und es heute im Gegensatz dazu gar nichts Anständigeres und geradezu Ehrenvolleres mehr gibt, als vom Geld zu sprechen, mit dieser jovialen Freimütigkeit, die die leitenden Angestellten des Bankkonsortiums ebenso kennzeichnet wie die des Finanzministeriums; und in der Tat: da Gott innerhalb des Wohlstandes im wesentlichen in Gestalt des Geldes erscheint, was ist klarer und ehrlicher, was heiliger, als offen zu erklären, dass das, worum es geht, die Produktion des finanziellen Ertrages und die Steigerung des Volumens der Ziffern ist? Jede andere Sache, jede andere Rede, ist sofort verdächtig vor dem Herrn.

Schade nur, dass das, was man den Leuten mit dem Kriterium der Rentabilität antut, die Schikane im grossen Mass-Stab ist. Weil nämlich in jedem beliebigen Moment jeder beliebige leitende Angestellte der einen oder der anderen Seite ihnen die Kirschen vom Mund, die Kühe von der Weide, die Eisenbahn und den Erdboden selbst unter den Füssen wegziehen kann, dank der Berufung auf das Kriterium der Rentabilität: denn erzählen Sie mir doch keine Geschichten, mein Freund, worum es hier geht ist die Produktivität, der Ertrag, die Zukunft, das heisst, das Geld; und in Anbetracht dessen müssen die kleinen Sächelchen und Herzchen den Kopf neigen und sich zurückziehen, das ist doch klar. Behindern Sie uns nicht, mein Guter, und entschuldigen Sie die Störung, aber wir arbeiten doch hier für Ihre Zukunft!

Und so kommt es dazu, dass das Kriterium der Rentabilität, indem es die Identität von Kapital und Staat unter Beweis stellt, zugleich dazu dient, dass man sich des alten Begriffes des “Öffentlichen Dienstes” entledigt, wie wir es im nächsten Kapitel näher untersuchen werden.

Anmerkungen:

  1. Der Autor gebraucht hier ein unübersetzbares Wortspiel.

Davon, wie der Begriff “Öffentlicher Dienst” seine Bedeutung verloren hat

Dabei geht es darum, dass die allgemeine Durchsetzung des Kriteriums der Rentabilität den alten Begriff des “Öffentlichen Dienstes” sofort seines Inhalts beraubt hat (auch wenn er trotz seiner Leerheit weiterhin Geltung beansprucht): denn dieses Kriterium setzt als selbstverständlich voraus, dass das, was gut für das Geld ist (also für die Bewegung des Kapitals), auch gut für die Person ist, also für den Menschen; was, wie man schon sieht, natürlich nur in dem Masse der Wahrheit entsprechen wird, in dem der Mensch selber durch und durch Geld geworden ist, in dem er sich vollständig mit seinem Kapital identifiziert hat; aber wenn unter den Leuten irgendwelche Überreste von nicht-finanziellen Bedürfnissen übrigbleiben, von konkreteren, sinnfälligeren und greifbareren Bedürfnissen, wenn ein paar Leute übrigbleiben, die noch nicht ganz und gar Der Mensch geworden sind, dann verliert die Wahrheit dieser Voraussetzung ihre Grundlage und das Kriterium der Rentabilität höchstselbst sieht sich in Zweifel gestellt.

Nun gut, es waren eben gerade diese anderen Bedürfnisse nach unmittelbaren und sinnfälligeren Gütern, denen mit mehr oder weniger Unaufrichtigkeit der Begriff der öffentlichen Dienstleistungen von ehedem entsprach. Soll heissen, dass es in den dem Wohlstand vorangehenden Herrschaftsformen, in denen die Identität von Staat und Kapital noch nicht so gefestigt und unverfroren war, eine Sache gab, die sich Öffentliche Dienste nannte: es handelte sich in Wirklichkeit darum, dass der Staat sich (infolge einer Art von “staatlichem schlechten Gewissen”) dazu genötigt sah, die Erniedrigung und Ausquetschung der Leute im Namen des Vaterlandes (das heisst, des Vaterlandes der Bonzen und Arbeitgeber)(1) durch gewisse Entschädigungen zu kompensieren, die darin bestanden, dass man einen Teil der staatlichen Einkünfte (niemals einen besonders grossen Teil, ist ja klar, aber immerhin etwas) Dingen widmete wie der Instandsetzung der Wege, der Unterhaltung von Schulen, der Säuberung der Strassen oder Wäldchen, der Einrichtung von Krankenhäusern oder Obdachlosenasylen, und eben Sachen wie diesen.

Was in diesem Staat von ehemals selbstverständlich war, war die Trennung dieser staatlichen Almosen, dieser Öffentlichen Dienstleistungen, von allem, was irgendeine Ähnlichkeit mit dem Kriterium der Rentabilität hatte: die Öffentlichen Dienste waren in der Regel nicht produktiv (das heisst, sie produzierten kein Geld), da sie ja dazu dienten, dass man sich um Dinge kümmerte, um Notwendigkeiten oder Dienstleistungen, die für die Allgemeinheit der normalen Leute greifbar und spürbar und nicht von oben vorfabriziert waren.

Und eine ganz andere Sache war es, wenn irgendein Küster oder irgendein Bevollmächtigter der Öffentlichen Dienste (wie es fast die Regel war) eine gewisse Summe zum Schaden der Allgemeinheit in seine eigene Tasche umleitete (gesegnete Korruption!); aber wenn es irgendwem eingefallen wäre zu verkünden, dass der Öffentliche Dienst selber ein Geschäft sei, dass er rentabel sein müsse, das heisst, dass die nämliche Krankenanstalt, Eisenbahn oder Schule, wie jedes Kind Gottes, ein Unternehmen sei, das wie jedes andere zu funktionieren und, statt sich auf das Ausgeben des Geldes zu beschränken, dieses auch zu bewegen habe, dann hätte dies die “burgueses e burguesas”, die “a sus finiestras sone”,(2) mit Empörung und Trauer erfüllt. Nun schön, und es ist eben gerade dieses, was sich die Wohlstandsgesellschaft, wie auch immer man es betrachten will, mit aller Schamlosigkeit auf ihre Fahnen schreibt.

Und deswegen sind das, was der Öffentlichkeit an den Stellen angeboten wird, wo einst die Öffentlichen Dienste standen, in der Tat (denn die Worte sind Tatsachen, seitdem die Dinge nichts anderes mehr sind als Ideen) eine Reihe von Büros, in denen das Kriterium der Rentabilität (und die dementsprechenden Gesichter und Gesten der Funktionäre) in genau derselben Weise herrscht wie in jedem beliebigen Privatunternehmen: es geht nicht mehr darum, Eisenbahnen zu subventionieren, die Leben in die Ödnis tragen und Dörfer aus dem Nichts entstehen lassen sollen, sondern darum, sich an der Automobil- und Kraftstoffindustrie zu beteiligen; nicht mehr darum, die Strassen dessen zu reinigen, was von den Städten übriggeblieben ist, sondern darum, sie mit Schildern zu füllen wie “Wir arbeiten für Ihre Zukunft: entschuldigen Sie die Belästigung”; nicht darum, einen Postservice an immer mehr Tagen immer länger und mit immer mehr Dienstleistungen für das Publikum geöffnet zu halten, sondern darum, in einen Wettbewerb mit den privaten Transportunternehmen einzutreten; in einem Wort, es geht darum, zur Bewegung des Kapitals und zur Aufrechterhaltung des Glaubens an die Zukunft beizutragen und dabei der Öffentlichkeit die Schikanen schon in der Gegenwart zu verabreichen.

Sodass wir uns logischerweise fragen müssen: Was ist im Reiche des Wohlstandes aus den Steuern geworden?

Anmerkungen:

  1. Dies ist ein unübersetzbares Wortspiel.
  2. Die “Bürger und Bürgerinnen, die mit ihren Raffinessen beschäftigt sind”.

Von der Verfälschung der Steuererhebung

Deswegen hat, infolge der Tatsache der Identifikation von Staat und Kapital, der Begriff der “Steuer” selbst mit der Fortentwicklung jeden Sinn verloren, den er in archaischeren Herrschaftsformen noch haben konnte. Nichtsdestoweniger aber fährt man im Wohlfahrtsstaat damit fort, Steuern zu erheben, und zwar mit mehr Beharrlichkeit und Glaubensstärke als je zuvor; sagte nicht vor kurzem irgendein leitender Angestellter Gottes in der Presse, dass der Betrug (soll heissen: der des Steuerzahlers dem Staat gegenüber; vom Betrug im umgekehrten Sinne wird ja nicht gesprochen) ein Anschlag auf die Wohlstandsgesellschaft sei? Sodass es also, wie es eben immer zu gehen pflegt, desto notwendiger ist, den Begriff der “Steuer” ins Spiel zu bringen, je verlogener er geworden ist, als eine herrschaftsstützende Lüge.

Aber es genügt, den Blick ein wenig um sich herumschweifen zu lassen und sich anzuschauen, wie der Staatsapparat aus Büros aufgebaut ist, die sich mit denen des Kapitals in einem unauflöslichen Netz verbunden haben und vom selben Kriterium der Rentabilität regiert werden, und zwar so weitgehend, dass eine Massnahme einer Entwickelten Regierung, die das Funktionieren des Entwickelten Kapitals behindern würde, oder ein leitender Angestellter der Öffentlichen Finanzverwaltung, der nicht denselben Glauben an die Zukunft teilte (in der Zukunft befindet sich das Automobil, in der Zukunft befindet sich das Universelle Netz der Datenübertragung, in der Zukunft befindet sich Der Mensch), etwas vollkommen Undenkbares geworden ist; es genügt, sich dies anzuschauen, um sich darüber klar zu werden, dass es in dieser Sache mit den Steuern etwas gibt, dessen Klang uns hohl erscheint.

Es ist nämlich so, dass die Steuern ein Erbe von traditionellen Staatsformen sind, in denen man von der Voraussetzung ausging, dass jene Bürger oder juristischen Personen, die im grossen Stile Kapital bewegten, als Ausgleich für ihre Sünden den Verwaltungsangestellten der wohlgesonnenen Regierung einen gewissen Teil ihrer Gewinne übergeben müssten, damit die Verwaltungsangestellten diesen Teil ihrerseits der Unterhaltung von nicht rentablen Aktivitäten oder Institutionen widmen konnten, Institutionen also, die dazu dienten, den Grundbedürfnissen und Wünschen aller zu entsprechen, insbesondere denen der Armen, das heisst derer, die kein Kapital bewegen.

Aber wenn man den Umgang mit dem Geld auf Seiten der Wohlfahrtsstaaten zur Kenntnis nimmt, und wie der grösste Teil von ihnen damit beschäftigt ist, mit denselben rentablen Zukunftsinvestitionen herumzuspielen wie das private Kapital, dann wird es deutlich, dass diesem Begriff der “Steuer” jeglicher Sinn abhanden gekommen ist. Nein: wenn Sie, mein Herr, dem Finanzamt die Steuererklärung unterbreiten und die Steuer zahlen, dann, müssen Sie wissen, tun Sie nichts, was sich auch nur im geringsten davon unterscheidet, dass Sie etwa Ihre Bank damit beauftragen, für Sie Aktien dieses oder jenes Zukunftsunternehmens zu erwerben, sei es ein Entwickler von Autobahnen, sei es ein Verbreiter von Computern, oder sei es schliesslich (wozu sollen wir uns mit Gütern und dergleichen abgeben und um den heissen Brei herumreden?) ein Aktienpaket einer florierenden Bank, und in diesem Falle möglichst eines der Bank des Staatskapitals höchstselbst, die sich nämlich in keiner Weise von den anderen unterscheidet und Ihnen eine ganz genauso empfehlenswerte Investition anbieten kann: sehen Sie sie nicht, wie sie sich im Fernsehen anpreist und mit jeder von denen, die sich noch privat nennen, im Wettbewerb steht?

“Aber nicht doch, mein Guter, übertreiben Sie doch nicht”, so könnte mir möglicherweise immer noch irgendein Steuerzahler entgegnen, “der Staat gibt doch auch Geld aus für Gesundheit und für Erziehung...”. Aber, ohne in eine Untersuchung darüber einzutreten, was das für eine Erziehung und was für eine Gesundheit das ist, was macht das schon für einen Unterschied? Widmet sich das Kapital der Fortentwicklung etwa nicht, und zwar mehr als je zuvor, der Förderung und Unterstützung von wohltätigen und kulturellen Institutionen, die ihm zwar keinen direkten Ertrag bringen, von denen es aber weiss, dass sie dennoch für den Unternehmensapparat notwendig sind?

Tatsache ist, dass man sich, um diesen Betrug mit den Steuern zu verstehen, genau vergegenwärtigen müsste, wie das Geld in der Entwicklung zwei verschiedene Naturen annimmt, eine göttliche und eine menschliche, und dass dieser Unterschied nicht dem zwischen “staatlich” und “privat” entspricht, sondern dem zwischen dem Grossen Geld (dem des Staates und der Banken) und dem Taschengeld (dem der Steuerzahler). Aber dies sollten wir besser bei einer anderen Gelegenheit behandeln.

Göttliches Geld und menschliches Geld

Als wir über die Steuern sprachen, haben wir gesehen, dass im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Leuten und dem Staat ein fundamentaler Betrug vorliegt, der der Entwicklung und dem Wohlstand als Grundlage dient, und zwar der, uns weismachen zu wollen (ausgehend von der Überzeugung des Politikers oder Ökonomen selber, die beide dasselbe sind), dass das Geld, was man dem Steuerzahler abnimmt, einen Beitrag zum Vermögen der Staatskassen leistet (wie in den archaischsten Herrschaftsformen, wie das Geld von Raquel & Vidas, das in die Tasche des tapferen Kriegers El Cid(1) floss), zu einem Vermögen also, das der Staat seinerseits an die Untertanen in Form von Wohltätigkeiten verteilt, insoweit sie nach Einschätzung des Herrschers von der Mehrheit verlangt und benötigt werden.

Dass diese Steuereinnahmen in der Entwicklung, statt in Öffentliche Dienstleistungen zu fliessen, in rentable (Geld-) Geschäfte investiert werden, an denen sich der Staat ebenso beteiligt wie die Banken, das haben wir schon beim letzten Mal festgestellt; aber der Betrug, der in dieser Sache steckt, ist noch abstrakter, und je abstrakter, desto bedeutsamer für die Konstitution der Realität: man verheimlicht uns nämlich den Tatbestand, dass das durch die Hände der Steuerzahler fliessende Geld noch nicht einmal dasselbe, von derselben Natur, ist wie das, was der Staat und die Banken über unsere Köpfe hinwegbewegen.

Es ist da ein Mysterium der Transsubstantiation im Spiele, wenn das Taschengeld, das an die Leute verteilt wird, damit sie sich vergnügen und der Illusion hingeben, dass man damit Dinge kauft, die noch kein Geld sind, eine Verwandlung erfährt und in den Höhen als ein Geld erscheint, mit spektakulären Ziffern von zehn oder zwölf Nullen an aufwärts, das sich von selbst bewegt, das ohne jede Scham und Verstellung nichts anderes mehr kauft als Geld, das heisst, nichts anderes als Kredit (bei dem Grossunternehmen oder bei den Staaten — das ist dasselbe), sodass die Gegenstände, die dabei genannt werden, zum blossen Vorwand für die Operation und die Namen dieser Gegenstände vollständig austauschbar werden, womit man dann von hydraulischen Pressen zu türkischen Zigaretten übergehen kann, als ob weiter nichts dabei wäre.

Es handelt sich um die fehlende Erkenntnis dieser elementaren Tatsache: dass die gesamte Wohlstandsgesellschaft auf einer wunderbaren Entdeckung aufgebaut ist: das grosse oder göttliche Geld ist allein schon mit seiner Bewegung, allein mit dem Ortswechsel von Konto zu Konto, von Datum zu Datum in der Zeit, allein schon damit ist es produktiv (und produziert natürlich Geld, oder besser gesagt, mit ihren eigentlichen Namen, Guthaben, zukünftige Zeit, oder schlichtweg Zeit), unter der einen Bedingung, dass ihm bei diesem Prozess ein unerschütterlicher Glaube beisteht, ohne das geringste Schwanken, der das innerste Wesen des Kredites, der Zukunft und der Zeit ist, der Zeit, die der wirkliche Name des Entwickelten Geldes ist.

Es ist ein übernatürliches Verfahren, das ebenso, wie es voraussetzt, dass das, was mit ihm produziert wird, nichts anderes sein kann als Geld, wenn auch mehr oder weniger unter der Maske der Namen der Dinge, und dass es sich deswegen auch nicht zum wirklichen oder greifbaren Nutzen der Leute einlösen lässt, sondern nur in Gestalt dieses ideellen, verhexten und nachtwandlerischen Genusses des Wohlstandes — das ebenso auch ein von dem Kleingeld, das unter die Leute verteilt wird, damit sie sich der Illusion hingeben, sie kauften Sachen damit, völlig entfremdetes Verfahren ist.

“Aber in diesem Falle würde sich die Konsequenz ergeben”, so könnte jemand einwenden, “dass die Steuern, die finanzielle Beitragsleistung der Privatleute an den Staat, im Wohlstand gar keinen Sinn haben: denn wozu braucht der Staat mein Kleingeld?” Und in der Tat, der Wohlfahrtsstaat ist auf die Steuern in überhaupt keiner Weise angewiesen: er könnte genausogut davon leben, dass er sich ohne jede Verstellung derselben Aktivität widmen wie das Grossunternehmen, derselben wie die Banken, nämlich, das Geld über unsere Köpfe hinwegzubewegen.

Nein, es ist nicht so, als ob der Staat es nötig hätte, Steuern einzunehmen, als ob wir alle für seinen Haushalt aufkämen, als ob das Geld des Staates aus der Summe des Kleingeldes seiner Untertanen bestünde. Und nichtsdestoweniger muss er damit fortfahren, Steuern zu erheben, weil man nicht damit aufhören darf, die Steuerzahler zu schikanieren, denn das ist für den Staat, ebenso wie für das Kapital, eine Notwendigkeit allerersten Ranges.

Was man erreichen will ist, dass wir alle den Haushalt bilden, oder anders gesagt, dass wir verbuchbar und selber zu Geld werden.(2) Aber damit sind wir bereits bei der Konstitution des Menschen im Wohlfahrtsstaat angekommen, auf die wir sogleich noch einmal zurückkommen müssen.

Anmerkungen:

  1. El Cid war ein sowohl historischer als auch legendärer spanischer Adliger des 11. Jahrhunderts, der zusammen mit den literarischen Figuren “Raquel” und “Vidas” in dem etwa um das Jahr 1200 entstandenen Versepos “Cantar del Mío Cid” verewigt worden ist.
  2. Das spanische Wort “contables” ist mehrdeutig und kann sowohl “zählbare Wesen” als auch “Buchführer” bedeuten.

Vom Menschen, wie die Banken und der Staat ihn lieben

Es ist nämlich so, dass in der Wohlstandsgesellschaft die Banken, die Unternehmen und der Staat (die, wie wir schon gesehen haben, drei verschiedene Personen und ein einziger, wahrhaftiger Gott sind) Humanisten sind wie niemand sonst, wie niemals zuvor (ein Grund für die Inkonformen, das sollten wir beiläufig anmerken, um sich von jetzt an bis in alle Zukunft strikt davor zu hüten, es auch zu sein: Humanist zu sein bedeutet in diesen Zeiten etwa soviel wie Philosoph oder Theosoph zu sein oder irgendeines dieser Dinge), und ihr gesamtes Interesse richtet sich auf den Menschen: der Mensch ist wahrhaftig ihr Gewinn.(1) Und das Wortspiel ist keineswegs mein eigenes, sondern das der Banken selbst, einer französischen Bank nämlich, die es vor etwa 15 Jahren so verkündete (mit einer anderen Art von Wortspiel: “Kapital” = “von höchster Wichtigkeit”): “Ihr Zins ist für uns Kapital”, was man auch umgekehrt lesen könnte: “Ihr Kapital ist unser Gewinn”, oder aber, indem man die Zinsformel darauf anwendet, “Ihr Kapital ist unser Kapital”, womit sie wahrscheinlich völlig recht hatten. Oder wie einige Grosse Händler, die sich zu “Spezialisten in Dir” erklärt haben.

Man muss also herauszufinden versuchen, was für eine Art von Mensch das ist, den Unternehmen, Staat und Banken ansprechen und lieben.

Er ist selbstverständlich ein Persönliches Individuum, eine Person: so wie Sie selbst, ist ja klar, vorausgesetzt natürlich, dass Sie Sie selbst sind und alle Zweifel und Unklarheiten beiseiteschieben. Dieser ist es, den jene in Massen hervorzubringen hoffen, als Masse der Individuen, von denen alle summierbar sind, aber jeder einzelne einer ist.

Für den Zweck dieser Prägung verfügt das Wohlstandsregime über verschiedenartige Vorgehensweisen, unter anderem die Medien der Massen-Bildung (der Bildung von Massen von Individuen); aber heute sind für uns die an der Reihe, die den Menschen auf die unvermitteltste Art und Weise prägen, nämlich vermittels seines Umganges mit dem Geld; auf diese wollen wir uns konzentrieren.

Nicht mehr genug damit, in der Tat, dass sich das Kapital darum kümmert, das Leben und den Verstand während der Hälfte der Zeit damit zu unterhalten, dass sie mit dem Kauf des Reihenhäuschens beschäftigt sind, mit dem des neuen Autos oder des neuen Fernsehgeräts, und mit der Diskussion (und der Ausführung) von Sportwettbewerben und dem Erwerb von Eintrittskarten für das Erscheinen des Infamen Rockmusikers im Stadion (was alles ebenfalls Geld ist, da es aus Zahlen besteht); nein, nun muss auch der Staat noch zu Hilfe eilen, damit sich die andere Hälfte mit dem vergleichenden Vortrag im Freundeskreis darüber füllt, was der eine in Abzug bringt oder der andere von der Steuer absetzt, mit dem die Leidenschaften aufwühlenden Sklavenhandel mit den leitenden Angestellten des Fiskus, mit der durch den Steuerberater unterstützten Suche danach, wie sich die Unterschlagung in der Steuererklärung innerhalb der stillschweigend geduldeten Grenzen halten könnte..., in einem Wort, er schmeisst es uns zum Fenster hinaus, das gesamte Leben.

Es ist aufschlussreich, zwei der erfolgreichsten Typen von radiophonischer Beratungsstelle miteinander zu vergleichen: die Konsultation von Ärzten oder Magiern betreffs der Mucken, Risiken und Hinterlisten in den Mechanismen des eigenen Körpers und die Anfragen an die Finanztechniker, in denen das pensionierte Grossväterchen sagt: “Und sagen Sie mir eins, Herr So-und-so, muss ich das Geschenk eines Fahrrads an meinen Enkel bei der Summe des zu versteuernden Einkommens mitberücksichtigen oder sollte ich es vielmehr in das Kästchen der Freibeträge eintragen?” Das ist die Art und Weise, auf die der Mensch herangebildet wird: durch das Erlernen der Terminologie des Finanzamtes. Seine Schnauze ist es, durch die der Fisch den Köder frisst und sich in einen gefischten Fisch verwandelt.(2)

Soll heissen, dass es nicht darum geht, in diesem Menschen irgendeinen brutalen, unklaren, zügellosen Egoismus zu kultivieren, nein, sondern einen vollkommen durch das Geld geregelten und berechneten. Dieser domestizierte, finanzielle Egoismus ist es, den die Ausgereifte Demokratie in jedem einzelnen Element ihrer Zukünftigen Mehrheiten zu fördern trachtet.

Der Mensch, der von nichts anderem als vom Geld zu sprechen versteht (seien es die Kosten seiner Leberoperation oder die Ablösesumme eines Spielers seiner Fussballmannschaft), der in keiner anderen Form als der finanziellen mehr denkt, dieser ist der Mensch des Endes der Geschichte, wie neulich jemand sagte: der, den die Unternehmen dazu brauchen, um ihre leitenden Angestellten ebenso heranzubilden wie ihre Kunden, und den der Staat für sie so weit wie möglich zur Perfektion zu bringen versucht.

Hat dieser Mensch Geld? Haben... Wie kann man etwas so Abstraktes und Sublimes haben, wie kann man Zahlen haben? Nein, dieser Mensch IST Geld. Aber wie das vor sich geht, dass man die Leute in den Menschen, der Geld ist, verwandelt, das wollen wir lieber in aller Ruhe betrachten.

Anmerkungen:

  1. “Interesse” und “Gewinn” sind zwei mögliche Übersetzungen desselben spanischen Wortes, das ausserdem auch “Zins” bedeuten kann.
  2. Dies ist ein spanisches Sprichwort, das im Sinne von “Reden ist Silber, Schweigen ist Gold” gebraucht wird.

Von der universellen Prostitution

Wie die Dinge sich in der Entwicklung in Gestalt des Geldes veredeln, und wie dementsprechend die Personen, die schliesslich auch real sind, sich selbst ebenfalls in Geld verwandeln: das ist es, was wir dieser Tage behandelt haben. Und in diesem Zusammenhang erscheint eine Untersuchung darüber angebracht, wie es in dieser Welt die Institution der Prostitution zu ihrer allgemeinen Verbreitung gebracht hat, das älteste Gewerbe der Welt, wie das Volk aus besseren Gründen sagt, als es die Individuen verstehen können.

Zu diesem Zweck ist es notwendig, zunächst ein wenig die Prostitution im engeren Sinne zu untersuchen, das heisst, die Prostitution der Frauen. Dass deren Prostitution die älteste Institution der Geschichte ist begreift man, indem man sich in Erinnerung ruft, dass die Geschichte selbst mit der Unterwerfung der Frauen (und ihrer Liebe und Gefährlichkeit) unter das Dominante Geschlecht beginnt (das diese Rolle in jeder historischen Gesellschaft spielt: alle sind sie patriarchalisch, und die Wohlstandsgesellschaft natürlich noch mehr als alle anderen, denn in ihr hat ja die Assimilation der Frauen an die Macht, an das Dominante Geschlecht, ihren höchsten Grad erreicht), und diese Unterwerfung besteht darin, wie es schon Engels vorausahnte, dass sich die Frauen in die Hauptform des Geldes verwandeln.

In einer schon ziemlich weit fortgeschrittenen (obschon von der Entwicklung noch weit entfernten) Kultur, wie es unsere Antike war, konnte der Inhaber eines Bordells den armen, verliebten Jüngling durch die Mitteilung zu einem Eisklotz erstarren lassen, dass er das Mädchen, das dieser liebte, bereits verkauft habe (und zwar für 20 Minen, was meiner Berechnung nach ungefähr soviel wert war wie etwa 750.000 heutige Pesetas:(1) zwischen dieser und der dreifachen Summe pflegt in der hellenistischen Welt der Preis eines starken Sklaven oder einer schönen Sklavin zu liegen), und indem er ihm diesen Verkauf folgendermassen bestätigte (Plautus, Ps 347): ‘amicam tuam esse factam argenteam’, “dass deine Freundin zu Silber geworden ist”, soll heissen, sich in Geld verwandelt hat.

Und auf diese Weise, sei es durch die Prostitution als Kleingewerbe, sei es durch die Ehe, mit oder ohne Mitgift oder abgezählte Brautgaben (die in der Entwicklung mit den Einkünften aus der Arbeit beider Ehehälften die Form der Teilhabe des Paares an der gemeinschaftlichen Wirtschaft annehmen, womit die Egalisierung des Geldes auch die Geschlechter egalisiert, natürlich in Gestalt des Maskulinen), haben sich die Frauen immer schon verkauft, im Verlauf der gesamten Geschichte.

Dass in der Entwicklung die Prostitution der Frauen, ihre Hingabe an das Verschachern ihrer Reize oder ihrer Gunstbezeugungen für Geld, unabhängig von den armseligen Resten einer Prostitution der archaischeren Sorte die bekannte Würde und den bekannten Status erreicht hat, sodass also die Huren von einem gewissen Rang sich inmitten der sonstigen Berufe in der seriösen Presse feilbieten können (zum Beispiel als Wochenend-Begleiterinnen der leitenden Angestellten des Kapitals oder des Staates) und die wohlgeratenen Töchter ihre Reize in aller Ruhe an die Titelseiten von Illustrierten oder an Videos verkaufen und sich (zumindest von den Autobahn-Huren an aufwärts) zu guter Letzt noch in Gewerkschaften organisieren können — dies alles ist nicht mehr als ein Indiz der grundsätzlich prostitutiven Verfassung der Wohlstandsgesellschaft insgesamt (vor kurzem hatte ich Gelegenheit, in El País(2) den Fall der Meinungsumfragen darüber heranzuziehen, ob Sie eine Nacht mit Ihrem Liebespartner für eine Million Dollar zum Verkauf anbieten würden) und trägt zum Beweis der Tatsache bei, dass die Wohlstandsgesellschaft der Gipfelpunkt der historischen Entwicklung ist.

Aber der Wohlstandsmensch kann die Prostitution seiner Frauen nicht vorantreiben, ohne dabei selbst in seine Machenschaften verstrickt zu werden. Und dies ist es, was wir in dieser heutigen Analyse herausfinden: dass das Schema der Prostitution (“Du bist zu Silber geworden, Freund”, das heisst, “Du hast dich verkauft”, das heisst, “Du hast dich in Geld verwandelt”) im Wohlstand als ein vollkommen verallgemeinertes, fest institutionalisiertes in Erscheinung tritt, durch die Mitwirkung der Banken ebenso wie mit Hilfe der Finanzverwaltungsstellen des Staates und Kapitals; und da es ja nichts Unehrenhaftes mehr ist, vom Geld zu sprechen oder sich zu verkaufen, sondern vielmehr das Ehrlichste, Aufrichtigste und Wahrhaftigste überhaupt, ist dieser Verkauf des Menschen, nicht das Geld Haben, sondern das Geld Sein, das klar zutage getretene und offen eingestandene Fundament des gesamten Wohlfahrtsstaates.

Aber es gilt dabei zu unterscheiden: es geht nämlich nicht mehr darum, dass man seine Arbeit verkauft, dass man für das, was man tut, Geld einnimmt (denn das ist ja die Institution der Arbeit in den archaischeren Wirtschaftsformen), sondern darum, dass man sich selbst verkauft, dass man selbst ein Wert auf dem Markt wird, dass man buchstäblich, numerisch, sein eigener Gewinn und sein eigenes Kapital ist. Und dies ist es, was wir im folgenden Kapitel etwas näher untersuchen werden.

Anmerkungen:

  1. 4.500 Euro oder 6.400 amerikanische Dollar nach den Wechselkursen vom August 2009.
  2. Eine spanische Tageszeitung.

Vom Wert der persönlichen Signatur

Dies war es, was wir festgestellt haben: dass es in der Entwicklung nicht mehr darum geht, Geld zu haben, durch Arbeit Geld zu verdienen, sondern darum, dass man Geld ist, die Personen ebenso wie die Sachen.

Bereits die demokratische Grundidee, aus der sich diese Welt entwickelt hat, die Idee, die Stimme der Person als Einheit zu zählen, damit die Summe eine kalkulierbare Mehrheit ergibt, die, wenn man den Rest als vernachlässigbare Grösse betrachtet, sodann als Äquivalent des Gesamten gilt, trägt in sich das Siegel der Verbuchbarkeit der Personen.(1) Nun ist aber all das, was man zählen kann, Zeit, und das Geld ist auf seiner höchsten Entwicklungsstufe ebenfalls Zeit (Guthaben, Zukunft), und deshalb werden auch die Personen bereits mit ihrer Quantifizierung als eine Art von Geld behandelt.

Wenn der Glaube an den Menschen (das heisst, an das Persönliche Individuum, wie wir es vor kurzem beschrieben haben) der fundamentale Glaubensartikel der Entwicklung ist (ein mehr als hinreichender Grund für die Inkonformen, sich nicht an diesem Glauben zu beteiligen), dann ist es nur zu erwarten — da ja das voll entwickelte Geld purer Kredit ist — , dass dieser Kredit nicht mehr durch wahrhafte Reichtümer oder greifbare und nutzbringende Tätigkeiten verbürgt wird, sondern vielmehr durch den Namen, durch die Unterschrift.(2) Dies ist auf den Märkten und unter den Banken das einzig gültige Fundament, und ebenso auch in dem politischen Spiel zwischen jenen Personenverbänden, als die sich uns die Staaten der Entwicklung darstellen.

Die beglaubigte Unterschrift auf dem persönlichen Scheck und die Transaktionen und Verkäufe von Namen seitens der Banken und Grossunternehmen ebenso wie die Imagepflege, zum Beispiel Spaniens, unter den Staaten der Entwicklung — ein Image, das sich dessen bewusst ist, unmittelbar in Kredit konvertierbar zu sein — bieten uns sinnfällige Belege dafür, wie das Geld des Wohlstandes aus nichts anderem mehr als dem Namen und der Unterschrift bestehen kann.

Wie erwirbt man Kredit? Wie wird ein Name zur Grundlage von Wert und Gültigkeit? Natürlich indem er sich verkauft: nur dadurch, dass man sich verkauft, wird man zu Geld, ebenso wie man nur dadurch Macht erwirbt, dass man der Macht gehorcht. Worauf man sich allerdings nicht mehr verlassen kann ist, dass der Kredit auf greifbaren Reichtümern beruht, auf Gütern, die für die Leute nützlich sind, auf dem Ertrag der eigenen Tätigkeiten oder auf der Produktion der Unternehmen (einschliesslich der Banken, die in aller Offenheit und Schamlosigkeit gar kein Produkt mehr hervorbringen), oder auf den Guthaben der Staaten (das Gold in den Schatzkellern oder irgendetwas dieser Art): denn das waren zwar möglicherweise die Grundlagen des Kredites unter den früheren Herrschaftsformen (das heisst vor der Konvertierung der Sachen und Personen in Geld), aber nicht mehr in der des Wohlstandes.

Was dagegen im Wohlstand sehr wohl eine elementare Rolle für den Erwerb des Kredites spielt ist das Marketing des Namens, die höchste Betätigung der Entwicklung, die das Gewerbe des Absetzens ist. Jeder beliebige Manager jedes Sängers oder Stars widmet sich dieser Beschäftigung, weil er sehr gut versteht, dass die Stimme, die Stimmbänder oder die Kunstfertigkeit, egal wieviel davon vorhanden ist, im besten Falle den Ausgangspunkt bildet, wohingegen das, was die fortschreitende Kapitalbildung garantiert, der geschickte Umgang mit dem Namen und den persönlichen Charakterzügen ist (vor allem im Fernsehen: nur wer im Fernsehen auftritt, existiert); dies aber ist es, dem auch ein enormer Teil der Staatshaushalte gewidmet wird: dem Promotionieren des Images von Spanien zum Beispiel. Kredit erzeugt Kredit, Guthaben erzeugt Guthaben (“das Vakuum erzeugt das Vakuum”, würde irgendeine Zynikerin vielleicht dazu bemerken).

Wozu aber sollen wir nach weiteren Indizien suchen, da wir doch die eindrucksvollsten im Reiche der Kultur vor uns haben, die ja bekanntlich die Hauptverwaltungseinheit der Staaten der Entwicklung ist? Denn da ist es bereits ausreichend, ein wenig die Frage zu betrachten, worin eigentlich der Wert eines Gemäldes (zum Beispiel) besteht: Wer erinnert sich noch daran, ob irgendeine spezielle Kunstfertigkeit vorlag (oder zumindest doch irgendeine Genialität!), als die erste Marketingagentur des Künstlers ihn zu promotionieren und ihm einen Namen zu verschaffen begann? In dem Masse, in dem die Unternehmung erfolgreich war, ist es ja nur noch die Signatur, die den Wert des Bildes verbürgt. Und sobald sich der Künstler einmal verkauft und seine Signatur im Gegenzug dafür eine Anerkennung ihres finanziellen Wertes erfahren hat, ist es nur noch Aufgabe der Signatur allein, ihn zu vermehren, und was auch immer der Künstler hervorbringt wird nichts anderes mehr als ein Vorwand für das Geschwafel sein, das die Kunstkritiker darüber von sich geben, die Marketing-Agenten der Kultur, welche auch diese, die Kritiker, mit ihrem finanziellen Anteil zur Anerkennung ihres Wertes entlohnen wird.

Aber der Fall der schönen Künste ist nicht mehr als ein Beleg (wenn auch ein so sehr ins Auge springender, dass ich nicht verstehe, wie man an der von mir vorgenommenen Analyse zweifeln kann, wenn man sieht, was mit der Signatur auf einem Gemälde geschieht), der auf alle Formen des Verkaufs der Person verallgemeinert werden muss. Nichtsdestoweniger erscheint es angebracht, dass wir dies, nach den Künstlern, auch für den Fall anderer Sorten von Persönlichkeiten betrachten.

Anmerkungen:

  1. Das spanische Wort “contabilidad” ist mehrdeutig und kann sich sowohl auf “zählbare Wesen” als auch auf “Objekte einer Buchführung” beziehen.
  2. “Kredit” und “Guthaben” sind, wiederum, zwei mögliche Übersetzungen desselben spanischen Wortes, das ausserdem auch “Glaubwürdigkeit” bedeuten kann.

Von der notwendigen Bescheidenheit der leitenden Angestellten

Wenn wir vom Wert (vom Geldwert) der Person in der Entwicklung sprechen, so ist es nur billig, dass wir, nachdem wir die eindrucksvollsten Fälle behandelt haben, den der Stars und den der promotionierten Künstler, auch die Fälle anderer Persönlichkeiten betrachten, die ebenfalls über ein Image (im wesentlichen im Fernsehen) und einen an der Börse notierten Eigennamen verfügen und deswegen ebenso in den Genuss des Kredites kommen und zu Geld werden: die leitenden Angestellten des Kapitals und des Staates, Führer von Grossunternehmen und Leiter von Banken (bei denen es sich im allgemeinen um dieselben handelt) sowie Politiker der Weiterentwicklung, die nicht darüber erstaunt sein dürfen, sich hier über denselben Kamm geschoren zu finden, nachdem wir einmal festgestellt haben, auf welche Art und Weise Kapital und Staat im Wohlstand ihre Verschmelzung bewerkstelligt haben und es keine andere Politik oder Idee mehr gibt als die Ökonomie und das Geld.

(Ich wäre gerne zum Einfügen einer die Ausnahmen von der Regel entbindenden Parenthese für die vielen Freunde bereit, die sich mit Ideen aus den Zeiten vergangener Herrschaftsformen in diese Dinge hineingekniet und sich dann in diesem ganzen Schlamassel wiedergefunden haben, und die folglich von Konflikten aufgerieben werden, auf die sie nicht zu reagieren verstehen und die sie am Ende sogar noch sympathischer werden lassen, wie es mit jedem geschieht, der am lebendigen Leibe Widersprüche erfährt; aber was ist da schon zu machen: hier bewegen wir uns mit einer gewissen Eile fort, und was uns weiterbringt ist die Verallgemeinerung.)

Schön und gut: wenn wir uns den Glauben daran gestatten, dass es andere Epochen gab (abgesehen von dieser, in der alle präsent sind und die selber keine ist), dann würde uns der Vergleich mit den Grössen der anderen Epochen, einschliesslich der Fords, Rothschilds und Roosevelts (oder meinetwegen der Hitlers und Stalins), die uns die Geschichte so reich an Charakterzügen, Farbenpracht und Nimbus der Grossartig- oder der Scheusslichkeit vor Augen führt, die ausgesprochene Blässe, durch die sich die leitenden Angestellten der Entwicklung auszeichnen, in umso krasserem Kontrast dazu hervortreten lassen. Diese nämlich scheinen mehr und mehr auf eine Verfassung der Mittelmässigkeit angewiesen zu sein, die ihre Austauschbarkeit ermöglichen soll, ohne dass sich daraus für das Regime irgendeine Veränderung ergäbe; und so kommt es, dass die Aufrechterhaltung ihres Images und ihres Namens ein immer ungebremsteres Hauen auf die radiophonische Kesselpauke, eine immer kräftigere Verherrlichung in den Schlagzeilen der Presse und vor allem einen immer offensiveren Bildschirmterror seitens des Fernsehens erfordert: nur so erreicht man es nämlich, dass die Leute für einen Tag oder für ein paar Jahre eine Erinnerung an ihre Namen und ihre Konterfeis zurückbehalten, und dass man daran glaubt, dass es Personen sind, die in Wirklichkeit das Schicksal der Staaten, der Unternehmen und der Banken bestimmen; ein Glaube, durch den sich die Leute ihrerseits in eine Masse von Personen verwandelt finden werden.

Es ist von grosser Bedeutung, diese scheinbar paradoxe Verfassung näher zu untersuchen, die Verfassung der Bescheidenheit, in der sich die leitenden Angestellten der Entwicklung befinden müssen, um sich erfolgreich verkaufen zu können und sich die Beförderung und Glorifizierung bis hin zu den Gipfelpunkten des Kredits und des Namens zu verdienen.

Dies aber versteht man eigentlich ziemlich schnell, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Hinaufklimmen in der Pyramide der Macht in der Wohlstandsgesellschaft genau gleichbedeutend mit dem Sich Verkaufen ist; nun schön, damit man sich aber verkaufen kann, müssen sie einen auch kaufen; und wie bringt man es dazu, dass der Staat oder das Kapital einen kaufen will? Nun, da jene ja Kredit sind und auf dem Glauben beruhen, so wird die Bedingung also die des Glaubens sein: dass einer fest daran glauben soll — und schon hat er Kredit, schon ist er dabei, hinaufzuklimmen. Der Herr weiss diese Veranlagung zum Glauben in seinen Kandidaten für das Amt des leitenden Angestellten schon ganz richtig zu erkennen; und auch wenn er sie im übrigen manchmal aus denjenigen auswählt, die gar nicht so dumm sind (manchmal auch nicht: manchmal ist es vielmehr angebracht, dass sie unbeholfen sind, das kommt ganz auf den Ort und den Zeitpunkt an), so kann er doch auf dieses eine nicht verzichten, dass sie daran glauben, dass sie Vertrauen dazu haben.

Aber siehe da, der Glaube ist das Gegenteil der Intelligenz: er erlaubt uns im besten Falle eine gewisse mathematische Geschicklichkeit, irgendeine strategische Fähigkeit zur Klassifikation, Vorausschau und Zukunftsplanung; aber das Rubrifizieren setzt die Weigerung voraus, unendlich viele Möglichkeiten zuzulassen, das Vorausschauen bedeutet, indem es die Entwicklungen der Zukunft für sicher und unbezweifelbar ausgibt (wie der Kredit es benötigt), das negative und kreative Handeln einzuschränken; und auf diese Weise bringt der Glaube das Verständnis zur Strecke.

Tatsache ist, dass es keine einzige Person gibt, die intelligent wäre: intelligent ist (wie es bereits im Buch des Heraklit formuliert wurde) allein die Sprache selbst, und zwar die gemeinschaftliche Sprache des Volkes, die sich dem Jargon der Politiker und Bankdirektoren entgegenstellt, ebenso wie dem der Philosophen und Literaten der Kultur.

Deswegen ist es von so grosser Wichtigkeit für das Leben des Volkes und für die stets mögliche Rebellion, dass man sich dem Erlernen des Jargons der leitenden Angestellten verweigert, dass man sich weigert, wie wir neulich schon ausgeführt haben, zum Beispiel den Jargon des Fiskus zu lernen, ja mehr noch, dass man sich weigert, sich die Namen der leitenden Angestellten zu merken (nicht einmal um sie auf den Mauern und Häuserwänden zu verfluchen), dass man sich weigert, ihr Bild auf dem Fernsehschirm zu sehen.

Nicht glauben — das ist das Erste. Um damit den leitenden Angestellten der Macht und des Geldes sagen zu können: wir wollen sie nicht, eure Terminologie, eure Namen und eure Kürzel, von denen wir nicht wissen, was sie bedeuten: wir sind es, die über die von niemandem manipulierte Sprache verfügen, über die Sprache, die jedem ersten Besten gehört, über die Sprache, die immer zumindest noch NEIN zu sagen vermag.

Dass die Befreiung vom Geld die Befreiung von der Person voraussetzt

Am Beispiel verschiedener Typen von Persönlichkeiten haben wir gesehen, wie die Bedingung des Glaubens an das Regime (des darauf Vertrauens, des sich eine Meinung Bildens und Entscheidens, aber ohne sich jemals dem Nachdenken zu überlassen) die notwendige Bedingung dafür war, dass sich jene erfolgreich verkaufen können, dass der Staat oder die Banken (das läuft auf dasselbe hinaus) sie sich als leitende Angestellte kaufen können, und dass sie infolgedessen Kredit erwerben, zu Geld werden und (da ja im Wohlstand Geld und Macht ein und dasselbe sind) Macht ausüben können — selbstverständlich nur um das zu tun, was angeordnet wurde und was bereits gemacht worden ist.

Wenn daher das Volk, also das, was unterhalb der Persönlichkeiten steht, danach strebt, sich von der Macht zu befreien, die es heutzutage unterdrückt und auf eine Masse von Individuen zu reduzieren versucht (jenes reulose Streben, das für den Fall des Wohlfahrtsstaates demjenigen entspricht, was man einstmals auf verworrene und verräterische Weise als die Revolution bezeichnete), dann muss es seine Kraft dafür aus der einzigen Tugend des Volkes schöpfen, einer Tugend, die im Nichtglauben besteht (und kraft derer das “Volk” das Gegenteil der in einem gemeinschaftlichen Glauben solidarischen Masse von Individuen ist), und insbesondere im nicht Glauben daran, dass es sich bei denen, die das Geld und die Macht bewegen und lenken und damit den Leuten den Tod verabreichen, um in vollem Bewusstsein und aus freiem Willen tätige Personen handelt.

Ganz im Gegenteil, das Volk muss im Bewusstsein der Worte Christi am Kreuz zu leben verstehen, “Sie wissen nicht, was sie tun”; und dies muss umso strenger zur Geltung gebracht werden, je höher die betreffende Personn in der Pyramide gestellt ist, denn wir haben schliesslich gesehen, dass die Bedingung für das Hinaufklettern an dieser im Glauben besteht, und zwar je höher, desto mehr. Sodass das Volk also nicht dem Irrtum verfallen darf, die Barbareien der Fortentwicklung gewissen machiavellianischen Persönlichkeiten zuzuschreiben: es handelt sich nicht um die unterschiedslos austauschbaren Herren Meier und Müller, sondern um Staat und Kapital.

Aber ebensosehr muss man sich im Sinne der immer lebendigen Überlegungen des Sokrates in Erinnerung rufen, dass dieses Nichtwissen, was wir tun, zwar eine Verfassung ist, die uns alle, jeden beliebigen, betrifft (das einzig Intelligente ist ja die Sprache, die alle und keiner ist), dass es aber nichtsdestoweniger immer noch einen grundsätzlichen Unterschied zwischen denen gibt, die nicht nur nicht wissen, was sie tun, sondern darüberhinaus auch noch glauben, sie wüssten es, und die daher konsequenterweise zum Gehorsam dem Staat und Kapital gegenüber gelangen, und uns anderen, die wir, in Unkenntnis dessen, was wir tun, aber auch ebensowenig glauben, dass wir es wüssten, sondern vielmehr aufs Geratewohl und ohne Projekte herumtappen (nicht durch irgendeine Zukunft motiviert, sondern durch die wehmütige Erinnerung an den Zustand, der vor dem Beginn der Geschichte herrschte) und den Versuch machen, nicht schon im Voraus gebahnte Wege zu entdecken, Macht und Kapital endlich den Garaus zu machen und den unendlichen Möglichkeiten des Lebens und der Vernunft zur Freiheit zu verhelfen.

Aber dies setzt einen Verzicht auf die Person als kompetentes Subjekt voraus, ohne den man nichts tun kann, was nicht darin bestünde, das zu tun, was schon getan worden ist, was nicht darin bestünde, Geld zu verdienen und damit das Geld auf seinem Thron zu legitimieren und zu bestätigen.

Und deswegen, fort mit jenen Ideen Platons und seiner zahlreichen und konfusen Nachfolger, die sich eine von den Weisen oder Philosophen gebildete Regierung vorstellen! Wie soll das möglich sein, wenn es doch gerade dies ist, was wir schon in der Wohlstandsgesellschaft vor uns haben, wo die Philosophen niemand anderes sind als die leitenden Angestellten der gefügig gemachten Wirtschaft und Physik, die es alles wissen, die daran glauben, was sie wissen, und die, wie sie selber von Zeit zu Zeit sagen, eben ihre Philosophie haben!

Aber fort auch mit jenen anderen Vorstellungswelten, die auf einem Glauben an den Zusammenschluss und die Solidarität der nach der Macht greifenden und sich in Aufgeklärten Demokratien organisierenden Unterdrückten beruhten: denn das ist es ja gerade, was am Ende die Gestalt des Ideals der Entwicklung angenommen hat, das an die Stelle von allen (mit ihren unterschwelligen Überresten der Volkszugehörigkeit) eine Mehrheit von Individuen setzen möchte, von denen jedes einzelne nach bestem Gewissen und freiem Willen seine Stimme abgibt, und die alle zu wissen glauben, was man ihnen geben wird, wenn sie sich verkaufen.

Keines von all den Projekten, die auf die Person rechnen, kann sich wirklich dem Regime entgegenstellen, dem wir unterworfen sind. Aber das zu verstehen fällt uns, den Personen, aus naheliegenden Gründen so schwer, dass wir diesem Thema auch noch das folgende Kapitel werden widmen müssen.

Von den Gewerkschaften zur Psychoanalyse

Nein, es gibt keinerlei Verträglichkeit zwischen dem Streben nach der Befreiung von der Macht (vom Geld) und dem Respekt vor der Person und dem Glauben an sie, denn schliesslich ist die Person ja selbst zu Geld geworden.

Falls wir eines bestechenden Beispiels bedürften, würde es genügen, sich die Gewerkschaften anzuschauen: Die Notwendigkeit, bestimmte Kontingente von Arbeitern für sich zu gewinnen (ein Fall von Gehorsam dem demokratischen Gesetz der Mehrheiten gegenüber), zwingt die Gewerkschaftsführer dazu, erstens die Rechte der Arbeitenden Person zu respektieren (und ihr als solcher keinen Schrecken einzujagen), woraus sich seinerseits am Ende der Respekt vor dem Begriff der “Arbeit” selbst ergibt (ja sogar seine Verehrung, indem man im Unisono mit den Arbeitgebern die Lobeshymne der Arbeit anstimmt), und nach dem Respekt vor der “Arbeit”, der vor dem “Geld” höchstselbst; sodass sich also die Gewerkschaft infolge der Fortentwicklung auf eine mit den Banken und dem Staat bei der Unterstützung des Kapitals zusammenarbeitende Hilfseinrichtung reduziert; eine Unterstützung, die in der Wohlstandsgesellschaft (wo die Arbeit ja bereits ganz unverhohlen die Form der Erzeugung von Unbrauchbarkeiten und die der Erschaffung von Bedürfnissen angenommen hat) darin besteht, das Kapital in Bewegung zu versetzen, das heisst darin, das Wettrennen von Preisen und Gehältern zu regulieren, darin, um die Arbeitslosenquote zu feilschen und ihr Niveau aufrechtzuerhalten, und darin, über die Schaffung von Arbeitsplätzen Buch zu führen; in einem Wort also in einem Spiel, das zwar notwendig ist für das Geld, für den Staat und für den persönlichen Status des Arbeiters, aber ansonsten für gar niemanden.

Und es ist natürlich vollkommen richtig, dass es “äusserst human” ist, sich zuallererst um die Bedürfnisse der aktiven oder beschäftigungslosen Arbeiter zu kümmern (so sehr es sich dabei auch um künstlich erzeugte Bedürfnisse handeln sollte), eine Aufgabe, der sich abgesehen von den Gewerkschaften auf ihre Weise auch die Caritas widmet und die wir fast alle wahrnehmen, wenn wir auf den Strassen des Wohlstandes von irgendwem um eine Münze gebeten werden und es für bequemer halten, sie ihm zu geben, statt in eine Diskussion über das Für und Wider des konkreten Falles einzutreten. Aber was uns nicht einmal vom Teufel verziehen werden würde wäre die Verwechslung zwischen all diesem und der Rebellion gegen das Geld, falls nämlich all dies nur zur Bestätigung der Idee dienen sollte, dass das, worum es geht, im Grunde eben doch nur das Geld ist.

Nein: angesichts der schizophrenen Verfassung, die die Person normalerweise im Wohlstand befällt, besteht die einzig vernünftige Möglichkeit, die uns in dieser Angelegenheit noch übrigbleibt, darin, uns nach dem Ratschlag des Evangeliums zu richten, “dass deine linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut” (oder umgekehrt).

Nicht die Personen oder die Gruppen von Personen und ihre Solidarität als Personen untereinander sind es also, die tatsächlich auf die eine oder andere Weise der Vorherrschaft des Staates und Kapitals in die Quere kommen könnten: gegen sie hilft vielmehr einzig und allein das, was vom unpersönlichen und unveranschlagbaren Volk noch am Leben geblieben ist, was unterhalb der Personen lebt, die glauben, dass sie wüssten, was sie tun, und die an die Zukunft glauben, zu der man sie verdammt; das also, was in uns allen lebendig und nachdenklich bleibt, in uns, die wir das Gegenteil der Mehrheit sind.

Und natürlich auch das, was in jedem einzelnen im Widerspruch zu seiner eigenen Person noch am Leben geblieben ist; denn diesen Widerspruch hat schliesslich nur der perfekte Untertan des Kapitals und Staates schon überwinden können, das heisst, der tote. Und deswegen war es auch nur logisch und folgerichtig, dass wir in dieser Analyse der Wohlstandsgesellschaft schliesslich zu einer Psychoanalyse der Personenmassen gelangen mussten, einer Analyse, die zugleich eine Psychoanalyse jedes einzelnen ihrer Bestandteile ist.

Auch die Psychoanalyse selbst (oder die Zergliederung der Seele) entstand nämlich zu diesem Zwecke, für diesen Befreiungskampf, als sie Freud (im Widerspruch zu ihm selbst) in den Sinn kam, sosehr sie auch hinterher gemeinsam mit den Gewerkschaften das uns schon bekannte Schicksal geteilt hat, sich nämlich in ein Gewerbe der Wiedereinfügung in die Gesellschaftsordnung zu verwandeln.

Aber es ging ursprünglich wirklich darum, in den Massen dasjenige aufzudecken, was wir ihr oberflächliches Unterbewusstes nennen könnten, und auf diese Weise das freizusetzen, was in jedem einzelnen nicht individuell (das heisst, nicht ökonomisch), sondern von ganz anderer Beschaffenheit ist.

Indessen hat die vorliegende Analyse mit Sicherheit schon starke Zweifel und grosse Schwierigkeiten im Hinblick darauf geweckt, wie man sich den Einsturz dieser Wohlstandsgesellschaft vorzustellen hat, und wie ohne die Konstitution der Personen Leben und Vernunft überhaupt möglich sein sollen: als dermassen zentral und selbstverständlich hat sich das Geld bereits für uns erwiesen! Und genau diesen Schwierigkeiten, die sich vielen von uns persönlich entgegenstellen, werden wir folglich in verständnisvoller Weise die restlichen Kapitel dieser noch längst nicht abgeschlossenen Analyse widmen müssen.

Wie einfach es ist, das Regime zu stürzen

Indem wir diese Analyse des Regimes der Fortentwicklung weiterführen und die Verlogenheit seiner Fundamente aufdecken, scheint uns die Analyse selbst zum Nachdenken über das aufzufordern, was etwas anderes als dieses sein könnte, das heisst, zum Nachdenken über den Zusammenbruch dieses Regimes und darüber, was für ein Leben die Leute führen könnten, sofern es nicht durch das Geld beherrscht wäre; und man muss in diesem Zusammenhang dann die ausserordentlichen Schwierigkeiten bei der Vorstellung dieser anderen Sache und bei dem Versuch zur Kenntnis nehmen, sich von der Furcht zu befreien, die jene Abkehr vom Regime des Geldes (das sich uns, wie alle Regime, als das einzig mögliche verkauft) in den Seelen der Massen und jedes einzelnen hervorruft.

Aber bevor wir den Versuch machen, die Schwierigkeiten näher zu untersuchen und die Furcht von uns abzuschütteln, müssen wir uns darüber klar werden, wie leicht es ist, dieses Regime zum Einsturz zu bringen.

Seine Stärke ist zugleich sein grösster Schwachpunkt. Seine Stärke ist, wie wir gesehen haben, die Kraft des Vakuums: das Geld selber musste immer abstrakter und erhabener werden, um seine wirkungsvollste Herrschaft über das Volk zu erlangen; sodass das Taschengeld der Leute zwar noch eine gewisse archaische Beschaffenheit und in jenen die Illusion bewahrt hat, dass es den Wert von Dingen habe, die ihrerseits kein Geld sind, im göttlichen und wahrhaftigen Gelde aber, in dem des Grossunternehmens, der Banken und der Staaten, schon rein gar nichts mehr davon übriggeblieben ist und sein Wert vollkommen im Kredit besteht, im festen Glauben daran, dass jenen das Morgen gehören wird, dass sie auf immer und ewig damit fortfahren werden, mit der Zeit, mit den Signaturen und mit den Namen herumzuspielen, an die der Kredit sich angeheftet hat.

Wir leben also im Reiche des Glaubens; und durch die Entwicklung ist nichts anderes geschehen als ein weiterer Fortschritt auf dem Weg, den schon die früheren Religionen eingeschlagen hatten — die sich nämlich vor die Notwendigkeit gestellt sahen, dafür zu sorgen, dass ihre Götter, zur Festigung ihrer Herrschaft, immer abstrakter und erhabener wurden. Und deswegen ist es für die Zerstörung dieser letzten Religion (der Ökonomie, der Idee des Geldes) auch schon völlig ausreichend, dass sich der Verdacht der Leere dieses Glaubens in einem gewissen Masse verbreitet: dass es zu einer Entdeckung der Substanzlosigkeit Gottes kommt, mehr oder minder wie im Falle dessen, was sich dem Bericht des Tacitus (Hist. V 9) zufolge ereignete, als Pompeius über die Juden gesiegt hatte und iure victoriae(1) zum ersten Mal den Tempel von Jerusalem betrat: inde volgatum nulla intus deum effigie vacuam sedem et inania arcana, “daher wurde bekannt gemacht, dass es darin keinerlei Götterbild gab und der Ort leer und die Mysterien gegenstandslos waren”, was wir dahingehend kommentieren könnten, “dass die Mysterien aus der Leere bestanden”.

Gegen die morschen Mauern der Banken und Ministerien sind daher also weder Bomben noch Schrapnell vonnöten (die ganz im Gegenteil wahrscheinlich eher kontraproduktiv wären, da sie nichts als einen Beitrag zur Ingangsetzung neuer Bauwerke des Nichts aus Zement, Metallschmiedearbeiten und Glasfaserschikanen leisten würden, sowie zur Schaffung von ein paar tausend Arbeitsplätzen), nein, und ebensowenig ist es notwendig, dass zur Beseitigung dieses Imperiums Horden von jenen Ausserirdischen eintreffen, die Kapital und Staat, mit Hilfe der ihnen zu Diensten stehenden Wissenschaft, in die Köpfe der Massen einflössen (zum Zweck der Wahnvorstellung einer zugleich drohenden und gezähmten Fremdartigkeit). Wenn wir eines Vorbildes bedürfen, so können wir sicher sein, dass es nicht einmal für den Zusammenbruch des Römischen Reiches besonders auf die Mitwirkung der Barbaren aus dem Norden ankam, die nämlich wenig ausgerichtet hätten, wenn der Glaube an Rom nicht vorher schon seine Glaubwürdigkeit und allgemeine Geltung unter der Bevölkerung und ihren Führern eingebüsst hätte.

Es ist völlig damit genug, dass ein Schatten des Zweifels, ein Atemhauch der Verdächtigung, in diesen Büros oder in jenen anderen, in jenem Giebel des Konsortiums oder in dem von nebenan, nach und nach ausreichend aufquillt (geben uns nicht schon die schrecklichen Kursschwankungen der Grossen Märkte und der Börse einen Vorgeschmack, ausgelöst durch eine unbedeutende Nachricht, durch ein paar fadenscheinige Bilder, die von den Medien verbreitet worden sind?), um die Gefahr einer Enthüllung der Leere des Geldgottes heraufzubeschwören, um ein vollständig auf den Kredit und auf den Glauben aufgebautes Imperium ohne weiteren Verzug spröde werden zu lassen und zum Einsturz zu bringen. Und dieser Zusammenbruch des Glaubens an das Geld führt auch zu einem Verlust des Glaubens an die Wissenschaft der Realität, die ja schliesslich ebenfalls im Dienste des Geldes stand.

Natürlich — werden sofort die Leser von gesunder Urteilskraft entgegnen — , aber was geschieht, während der Einsturz vonstatten geht, mit den Leuten, die sich den Glauben nicht vollständig zu eigen gemacht haben? Müssen diese Münder, während sie die Leere des Geldes aufdecken und NEIN zu diesem Glauben sagen, nicht nach wie vor Brot essen? Ja, in der Tat: dazu kommen wir sofort.

Anmerkungen:

  1. Kraft des Siegerrechtes.

Was könnte den Stimulus des Geldes ersetzen?

Jawohl, wenn wir uns auch unsererseits keinen Illusionen hingeben wollen, dann gilt es zunächst zur Kenntnis zu nehmen, dass es das Geld zwar in der Entwicklung zu seiner höchsten Abstraktion und Veredelung gebracht haben wird, dass das Geld zu nichts anderem mehr dienen wird als zum Erwerb des Geldes, dass das Geld eine Wahnvorstellung sein wird, dass es aber nichtsdestoweniger, wenn die Dinge in der Wohlstandsgesellschaft so gut funktionieren, wie sie das tun, mit Sicherheit nur dieser Illusion des Geldes zu verdanken ist, dass es sich so verhält.

Und das ist eine Selbstverständlichkeit: denn wir haben ja schon gesehen, dass man in dieser Art von Gesellschaft auch den Menschen selbst (das Individuum) zu Geld hat werden lassen, und dass ihn von diesem Augenblick an nichts anderes mehr als die Vorstellung, mehr zu verdienen und sich noch mehr in Geld zu verwandeln, zu irgendeiner Arbeit, zu irgendeinem Kunstgriff oder zu irgendeiner Unternehmung veranlassen kann: sobald all sein Interesse an den sinnlich erfassbaren Dingen (und ebenso an den sinnlich erfassbaren Leuten) einmal erloschen ist, wird sein Streben nach dem Wohl keine andere Gestalt als die der Zahlen des Bankkontos mehr annehmen können, als das also, was das eigene persönliche Konto, oder das seines Unternehmens, oder das seines Staates (was alles dasselbe ist), mit Hilfe des Hin- und Herschiebens der Sachen (und Personen) und unter Vorschützung derselben an Zahlen hinzugewinnen wird.

Dass dies der einzige Motor ist, der die Welt antreibt, darüber sind sich die leitenden Angestellten Gottes völlig im klaren, sowohl wenn sie die Höhe der finanziellen Anreize berechnen, die die Arbeiter dazu bewegen könnten, mit der Produktion von Unbrauchbarkeiten fortzufahren (und wenn sie mit den Gewerkschaften darüber verhandeln), als auch wenn sie sich als Politiker an diesen so blödsinnigen wie praktischen Auseinandersetzungen darüber beteiligen, ob es notwendig ist, die Unternehmensverwaltung dem Privaten Kapital zu überlassen, weil es ja ganz klar ist, dass der finanzielle Anreiz zu ihrem besseren Funktionieren führen wird, oder ob sich der Staat im Gegenteil (was aber ein und dasselbe ist) in seinen Verwaltungsprozessen bei der Anwendung des Kriteriums der Rentabilität an dem Vorbild des Privatunternehmens orientieren und seinen eigenen leitenden Angestellten finanzielle Anreize (was für welche auch sonst?) bieten soll, damit sie an der Förderung welcher staatlichen Verwaltungsakte auch immer ebensoviel Interesse haben wie die leitenden Angestellten des Kapitals.

Aber auch jene anderen, die wir keine leitenden Angestellten (oder schlechte) sind, müssen es ebenso zur Kenntnis nehmen: Das einzige, was den Menschen in diesem Regime des Wohlstandes antreibt, ist das Ideal, der Glaube, oder in anderen Worten das Geld: nur Seinetwegen verfügen wir über diesen Überfluss (auch wenn er aus Substituten besteht), nur Seinetwegen funktionieren die Getriebe dieser Welt (auch wenn es sich nur um einen falschen Anschein handelt); und falls wir von der Zerstörung dieses Regimes träumen sollten, so können wir als praktische und besonnene Träumer gar nicht anders als davon zu träumen, ob es etwas gibt oder nicht, das als (wenn auch nicht ganz so effizienter) Motor dienen könnte, sobald der Glaube an das Geld einmal zerbrochen ist.

Und ohne dabei natürlich auf die Mehrheit zu zählen (denn von der Mehrheit weiss man ja, wie sie beschaffen ist: sie ist ein Produkt des Glaubens), stellen wir uns also die Frage, ob es hier in diesen niedrigeren Regionen etwas gibt, was uns zu diesem Zwecke dienen könnte, was uns ins Ohr flüstert, dass das Geld nicht alles war. Und in diesem Zusammenhang ist es möglich, dass uns die Betrachtung gewisser Pläne, die das herrschende Ideal für seine Bevölkerung bereithält, zu weiterer Aufklärung verhelfen könnte.

Wie man weiss, handelt es sich darum, zum Tertiärsektor voranzuschreiten. Die Entwicklung eines Staates wird an der Proportion zwischen den drei Sektoren gemessen: der primäre, die Absorption eines Grossteiles der Bevölkerung durch Ackerbau und Feldarbeit, ist für das Ideal das Niedrigste und Verächtlichste; der sekundäre, die Beschäftigung mit der Transformation der Rohstoffe in “menschliche” oder industrielle Objekte, das war die Arbeit im eigentlichen Sinne zu den Zeiten der Vision von Marx und geniesst in der Entwicklung eine mittelmässige Würde; das aber, was für die Entwicklung das wirklich Gelbe vom Ei ist, ist der Tertiärsektor, die Hingabe an die Herstellung des Nichts, und derjenige Staat, der den grössten Teil seiner Bevölkerung bis zur Arbeit in diesem Sektor befördert hat, das ist der am weitesten entwickelte. An jenem Tag, an dem wir alle zu Bankfunktionären geworden sind und uns dem gegenseitigen Austausch von Ziffern widmen (in der weisen Utopie des EREHWON von Samuel Butler(1) gehen die Leute zu den Musikbanken, um sich einer beinahe ebenso ätherischen Aufgabe wie dieser zu widmen), — an jenem Tag wird es das Ideal zu seiner vollständigen Erfüllung gebracht haben.

Wie aber kann sich soetwas aufrechterhalten? — so fragen wir uns, die plumpen Söhne des gemeinen Volkes — : Etwa durch Zauberei? Und wir haben den Verdacht, dass dem nicht so ist: dass unterhalb der Schwelle des Ideals und des Geldes die Mutter Erde uns nach wie vor das Brot gibt und die greifbaren Güter, an denen all die Ideale und Verrücktheiten ihrer Kinder sich nähren. Hier unten gibt es etwas. Und an welchem Ort sonst werden die desillusionierten Leute das suchen, was an die Stelle des Geldes treten soll, wenn nicht auf der Erde, in dem, was unten ist?

Aber das ist nichts weiter als die Frucht einer spontanen Idee: wie sich daraus eine Taktik der Ablösung des finanziellen Anreizes ergeben könnte, das werden wir nun im folgenden untersuchen.

Anmerkungen:

  1. Im Jahre 1872 anonym publiziert.

Vom Kriterium der Nützlichkeit und von den Maschinen

Das Imperium der Entwicklung hat es nötig, die Herstellung von Bedürfnissen zu seinem primären Industriezweig zu machen, um dadurch die Illusion aufrechtzuerhalten, dass das Geld zur Befriedigung ebenjener Bedürfnisse diene. Sich der Herstellung von Bedürfnissen zu verweigern ist etwas, das wir, die Leute (oder das, was vom Volk unter uns und in jedem einzelnen noch übrig ist), nur deswegen werden durchführen können, weil wir fühlen, dass es keine “naturnotwendigen Bedürfnisse”, wohl aber greifbare und sinnlich wahrnehmbare Güter gibt, die nicht bloss aus einer Idee von sich selbst bestehen, und dass diese Güter nicht vom Geld fabriziert oder verkauft worden sind.

Diesem Umstand verdanken wir es, dass wir inmitten des ganzen Schwindelgefühls, das von den Zahlen der Entwicklung ausgeht, zu einem nicht vom Geld beherrschten Gefühl der Nützlichkeit Zuflucht nehmen und trotz allem zwischen dem unterscheiden können, was dazu dient, Geld zu kaufen, zu besitzen und zu verkaufen, und dem, was zu anderen Zwecken dient; ohne dabei zu vergessen, dass das Ideal der Entwicklung im Grunde nichts als die Vervollkommnung einer Lüge ist, die bereits in den Ursprüngen der Geschichte selbst immer schon vorhanden ist, seitdem es Gesetze und Rechtsprechung gibt: jene Lüge nämlich, die uns davon überzeugen wollte, dass das Eigentum mit der Nutzniessung vereinbart werden kann, und die, mehr noch, die Nutzniessung sogar dem Eigentum unterordnen wollte. Hier in diesen tieferen Regionen können wir nicht daran glauben: wir kennen sehr wohl die Süsse der “Frucht aus dem fremden Gehege”, wie sogar der Edelmann Garcilaso de la Vega(1) zu sagen wusste, und wir behaupten, dass Benutzen nicht Besitzen ist: entweder du hast sie oder du geniesst sie, aber nicht beides auf einmal.

Es ist vermittels dieses Gefühls der Nützlichkeit, die nicht verkauft wird, kraft eines Gemeinsinnes, dass wir zum Beispiel einen Unterschied machen zwischen der Eigenschaft, Eigentümer eines Transportmittels zu sein (das Demokratische Ideal in Gestalt des Persönlichen Autos), und dem Besteigen irgendeines in der Nähe vorüberfahrenden Transportmittels, um damit irgendeine sich uns anbietende Strecke zurückzulegen. Daraus ergibt sich der Kampf gegen das Persönliche Auto (mit seinem Gefolge von Omnibussen, Reisebussen und Lastwagen), unter Berufung auf die nützlichen Transportmittel wie Züge, Strassenbahnen und sonstige, die nicht dem Eigentum zur Verfügung stehen und daher auch nicht der Entwicklung dienen.

Wir sprechen vom Gebrauch der Maschinen. Wir singen Loblieder auf die Nützlichkeit der Vorrichtungen, die von unseren Grossvätern erfunden wurden (und dass jene Grossväter sie aus den finstersten Motiven des spiessbürgerlichen und ausbeuterischen Egoismus erfanden und unters Volk brachten interessiert und einen Dreck, solange sich aus ihnen irgendein praktischer Nutzen für die Leute ergibt: glücklicherweise wissen ja die Menschen nicht, was sie tun), auf die Vorrichtungen also, die dazu eingeführt wurden, um mit der Arbeit und ihrer vermeintlichen Notwendigkeit aufzuräumen.

Eine der hervorstechendsten Schwachsinnigkeiten, mit denen die leitenden Angestellten der Entwicklung denjenigen Leuten aufzuwarten pflegen, die das Regime in Zweifel zu ziehen wagen, ist die, dass wir dann auf die Arbeitskraft der mechanischen Vorrichtungen verzichten müssten und so die Segnungen des Fortschritts verlören; und sie tun, als ob sie die Maschinen verteidigten und als ob sie selbst ihre Erfinder wären und nicht vielmehr diejenigen, die all das, was die Maschinen konnten, kaputtgemacht und die Nützlichkeit von vielen der Fortschritts-Apparätchen unserer Grossväter bis zur Unbrauchbarkeit ruiniert haben, in erster Linie durch den Einbau neuer Kniffe und Extras, für die es keinerlei Notwendigkeit oder Verlangen auf Seiten der Leute gab und die ausschliesslich dem Zweck ihres Verkaufs dienen.

Sie haben die Nützlichkeit der Maschinen zerstört, die doch zur Demonstration der Tatsache beitragen sollten, dass es sich bei der Arbeit, der Strafe Jehovas, um ein Gespenst handelte, und dass es dank der mechanischen Sklaven gar nicht mehr nötig war, dass die Leute weiter arbeiteten, oder na schön, in jedem Falle nur noch ganz wenig, fast überhaupt nicht: da kommt dann das Konzept der Arbeitsteilung ins Spiel, das ein volkstümliches Gemeingut wie wenige andere und von einem elementaren Gemeinsinn geprägt, den leitenden Angestellten der Entwicklung, die sich ganz im Gegenteil um die Schaffung von Arbeitsplätzen bemühen müssen, aber vollkommen zuwider ist.

Es geht also nicht darum, auf die Maschinen zu verzichten, sondern darum, sie zu gebrauchen: und zwar sie zu einem Zweck zu gebrauchen, der nicht aus ihrem Verkauf, ihrem Erwerb oder ihrem Besitz besteht, sondern schlicht und einfach zu etwas anderem. Ein solides, grobes und bodenständiges Kriterium der Nützlichkeit ist alles, was man braucht, um zwischen denjenigen Vorrichtungen, die zur Entlastung von der Arbeit und zum Genuss des Lebens dienen, und jenen anderen zu unterscheiden, die dazu dienen, Bedürfnisse zu erzeugen, die Leute ohne jede Notwendigkeit fortgesetzt zum Arbeiten zu nötigen, die Massen abzulenken und zu unterhalten oder die Individuen dazu zu bringen, wenn sie nicht arbeiten, Sport zu treiben; in einem Wort, die nur zur Bewegung des Kapitals und zur Erhaltung der staatlichen Institutionen dienen.

Der Gemeinsinn und das Kriterium der Nützlichkeit stehen Staat und Kapital für ihre Ziele nicht zu Diensten: gerade deswegen dienen sie den noch am Leben gebliebenen Leuten des gemeinen Volkes. Und bei diesem Gegensatz werden wir uns noch einen Moment weiter aufhalten müssen.

Anmerkungen:

  1. Garcilaso de la Vega, einer der grössten Dichter der spanischen Sprache, wurde etwa um 1501 geboren und starb im Jahre 1536.

Dass man das Gute nicht auf den Müll kippen darf

Wir haben die erbarmungslose Feindschaft zur Erscheinung gebracht, die zwischen dem Nützlichkeits-Sinn als Waffe des Volkes und dem Staat der Entwicklung herrscht, der sein Fortbestehen einzig und allein der Erzeugung von Bedürfnissen, der Verbreitung von nutzlosen (nur dem Zweck ihres Verkaufs dienenden) Produkten und der Aufrechterhaltung der Unterwerfung unter das Gesetz der Arbeit verdankt, was für die Leute zwar unnötig, für die Bewegung des Kapitals aber sehr wohl notwendig ist — eine sinnentleerte Arbeit (die leeren Stunden, mit denen man sie misst, sind dieselben, die es kostet, ihr nutzloses Erzeugnis zu kaufen: Zeit verkaufe ich dir, mit Zeit bezahlst du mich: das ist es, was nach und nach aus dem Mehrwert geworden ist), die als solche ihrerseits auch eine sinnentleerte Zerstreuung erforderlich macht, eine Zerstreuung, die mit einer Zeit von derselben Gattung gemessen wird, wie es die der sinnentleerten Arbeit ist.

Gut und schön, nun bringt es aber nichts jemals zur Vollkommenheit des Zukunftsideals, und es ist deutlich spürbar, dass man in der Wohlstandsgesellschaft, inmitten des vorherrschenden Verschacherns der Nichtigkeiten, nicht umhin kommt, trotzdem auch viele gute Sachen zu produzieren, das heisst Sachen, die tatsächlich den Wünschen der Öffentlichkeit entsprechen, auch ohne vorherige Herstellung des Vakuums, das einen dazu veranlasst, sie kaufen zu wollen. Und vielleicht dürfen wir darauf vertrauen, dass sich in demselben Masse, in dem das Ideal des Geldes zusammenbricht und der finanzielle Anreiz seinen Einfluss verliert, auch das Gespür für die Sachen und das Wissen über sie wiederbeleben: über jene Sachen nämlich, die gut waren, bevor sie sich in Geld verwandelten und jemandes Eigentum wurden.

Wir sollten deshalb also nicht den Kopf verlieren und der Entwicklung all die Güter zugutehalten, in deren Genuss wir mit der Entwicklung gekommen sind, noch auch sollten wir denken, dass mit dem Untergang der Wohlstandsgesellschaft auch all die nützlichen und genussbringenden Dinge verloren genen müssten (Genuss und Nutzen sind ja ein und dasselbe, ganz im Gegensatz zu dem, was in den Schulen von Staat und Kapital gelehrt wird), die zu produzieren der menschliche Fleiss und Erfindungsgeist gar nicht umhin kann — nicht einmal inmitten von diesem ganzen Rummel der Unbrauchbarkeiten.

Ganz im Gegenteil: die Massregel, die uns der Gemeinsinn und der sinnliche Egoismus (was das Gegenteil des abstrakten, finanziellen Egoismus ist: das Bedürfnis, etwas zu gebrauchen, im Gegensatz zur Sucht, es zu besitzen) vorschreiben, ist die, Unterscheidungen zu machen innerhalb dieses kolossalen Müllhaufens, den Staat und Kapital aus der Welt herzustellen im Begriffe sind (die Produktioin von Müll, von Dingen ohne praktischen Gebrauchswert, ist ja die fundamentale Produktion der Entwicklung), unter all diesem diejenigen Güter zu erkennen, die sinnlich erfassbar und wünschenswert sind, und es nicht zuzulassen, egal wie schwerwiegend die Wirrungen des Zusammenbruchs auch sein mögen, dass auch nur eine einzige der Zierden und Annehmlichkeiten verloren geht, die die alte Bourgeoisie erfinden und herstellen musste (auch wenn es für ihre eigenen Zwecke war) und mit deren Produktion auch die Wohlstandsgesellschaft selber fortfahren muss.

Denn es geht schliesslich nicht darum, die gesamte Bevölkerung bei der Abspeisung mit den Substituten auf dasselbe Niveau zu bringen, was ja gerade das ist, was der Entwicklung als Ideal vorschwebt, wenn sie ein Supermarktsortiment des Elends unter ihren Millionen von Untertanen verteilt — so als ob es einen Vorrat(1) gäbe, der von oben aus auf gerechte Weise verwaltet werden müsste (aber was gezählt wird ist in Wirklichkeit das Geld: denn den Reichtum kann man nicht berechnen) — , sondern es geht ganz im Gegenteil darum, dass die Paläste und Festmähler der Fürsten und Spiessbürger allen zugänglich werden, dass jede beliebige Behaglichkeit (des Gebrauchens, nicht des Eigentums) und alle Kunstgriffe und Anmutigkeiten für jeden beliebigen erreichbar werden. Und so zum Beispiel war es, als wir die Eisenbahn rühmten, unter anderem deswegen, weil “der Zug uns alle frei macht und zu Herren werden lässt”, während “das Auto uns alle in Chauffeure und Mechaniker verwandelt”.(2)

Es handelt sich um eine einfache Taktik, nämlich die des Ausnutzens ohne zu bezahlen: all die Erfindungen und Kunstgriffe auszunutzen, die für den Genuss des Lebens und die Lebendigkeit der Vernunft zu ersinnen das Kapital in seiner Entwicklung gar nicht umhingekommen ist, und dafür aber nicht zu bezahlen, weder mit Arbeit (im eigentlichen Sinne des Wortes, das heisst, wohl umsonst gesprochen: denn weiterhin neue Dinge zu erfinden und zu fabrizieren, das ist keine Arbeit), noch mit dem Taschenspielertrick des Auswechselns der Sachen und ihrer Ersetzung durch Substitute, noch mit der Umwandlung der Seele in Geld, noch — und vor allem das nicht! — mit dem Glaubensbekenntnis, das der Gott der Entwicklung seinen Gemeindegliedern abverlangt, angefangen mit der Steuererklärung und weiter bis hin zum Himmel der betrügerischen und bestechlichen Wissenschaft.

Ist diese Taktik möglich? Nun, für Spanien, für die Vereinigten Staaten, für Katalonien oder für Europa ist sie natürlich in gar keiner Weise möglich! Aber bedeutet das, dass sie auch an sich und als solche nicht möglich ist? Dies ist die Frage, die wir nun als nächste analysieren werden.

Anmerkungen:

  1. Der Autor gebraucht das englische Wort “stock”.
  2. Diese beiden Passagen erscheinen in Anführungsstrichen als ob es Zitate wären, aber der Autor gibt keinen Hinweis auf ihre Herkunft.

Wer hat die Staaten nötig?

Es ist klar, dass diese Dinge, die vom Herzen und von der Vernunft gefordert werden, — dass das Geld vom Antlitz der Erde verschwindet, dass sich der Gebrauch der sinnlich erfassbaren Sachen und ihre Wertschätzung wiederbeleben, anstelle der Vorherrschaft des Ideals, das mit ihrer Zerstörung beschäftigt ist, dass die Hände und Köpfe, statt für die Herstellung dessen arbeiten zu müssen, was schon gemacht worden ist, die Freiheit gewinnen, das zu tun, worum unser Begehren und unsere Vernunft sie bitten, dass man es den Leuten ermöglicht, statt die fatale, von oben angeordnete Zukunft realisieren zu müssen, eigene Wege zu erfinden, dass man auf der Erde Leute leben lässt anstelle der Massen von Individuen, die in Einheiten gezählt werden, von denen jede einzelne ihrerseits aus purem Geld besteht — all dies ist unmöglich, solange wir uns weiter dazu gezwungen sehen, mit Ideen wie “Japan”, “Deutschland” oder zum Beispiel auch “Galizien” oder “Tansania” rechnen zu müssen, die alle auf demselben Modell des Staates aufgebaut sind, und solange man meint, dass sich jene wünschenswerten Transformationen auf die Territorien und Bevölkerungen beziehen, die von dieser Art von Ideen beherrscht werden. Schon die blosse Behauptung ist absurd.

Der Zusammenbruch des Kapitals zieht auch den Zusammenbruch des Staates nach sich, und in der Wohlstandsgesellschaft ist dies noch unumgänglicher als in jeder anderen denkbaren Situation. Dies beweist, bis zu welchem Grade es in der Entwicklung die eheliche Gemeinschaft und die gegenseitige Identifikation des einen und des anderen gebracht haben.

Für wen ist es nun aber notwendig, dass es Frankreich gibt? Zweifellos für Frankreich: nicht für die Leute, die sich am linken Rheinufer oder an den Nordhängen der Pyrenäen tummeln; auf jeden Fall jedoch für das Individuum vor seinem Fernsehgerät oder für die Masse in ihrem Stadion, die, sobald der in die Trikolore eingekleidete (und möglicherweise aus Sansibar importierte) Athlet den Rekord geschlagen hat, erregt “Wir haben den Rekord geschlagen!” brüllen, “Wir haben gesiegt!”. Aber das sind nicht die Leute, das ist Frankreich.

Es gilt, sich einmal und tausendmal in Erinnerung zu rufen, dass jener bewusste Wunsch, wonach das Geld verschwinden und das Leben und der Gemeinsinn wieder unter uns regieren sollen, keine Spur des Utopischen oder als solches Unmöglichen in sich trägt: kleine Gemeinschaften, so klein, wie es die von Nachbarn sein können, ohne gültige Stimmabgaben oder demokratische Repräsentanten, identisch mit ihrer Verwaltung und ihrer Regierung, und unter einfacher Hinzufügung von ein paar Büros und Kommunikationsnetzen zwischen den Gemeinschaften des Globus, aber nur insoweit sie wirklich notwendig sind, wären schon völlig ausreichend und würden die Erfüllung jenes Wunsches in greifbare Nähe rücken; mehr oder weniger auf dieselbe Art und Weise, wie es bereits in dem Manifest der Antinationalistischen Kommune von Zamora dargelegt wurde,(1) einer Kommune, die sich desselben Gesundheitszustandes erfreut wie das Volk in seiner Gesamtheit: weil es nämlich, da es nicht existiert, auch niemals stirbt.

Nichtsdestotrotz aber muss man auch dies zur Kenntnis nehmen: dass es die Seelen in Schrecken versetzt, sich das Verschwinden von Spanien, des Irak, von Indonesien vorzustellen: viel unschuldiges Blut ist im Laufe der Geschichte vergossen worden, um diese Art von Ideen aufrechtzuerhalten (unter rückständigeren Herrschaftsformen durch die Opferung ganzer Scharen von Leuten, am besten der ganz frischen, gesunden und in der Blüte ihres Lebens stehenden, die sich nämlich als die gefährlichsten erweisen, wenn “der Ruf des VATERLANDES braust”, bis es schliesslich “keinen Flecken Erde ohne ein spanisches Grab mehr gibt”;(2) und in den fortgeschritteneren Formen Desselben durch die Verurteilung der durchnumerierten Bevölkerung zum Tode schon während des Lebens: vor dem Fernsehgerät, im Verkehrschaos der persönlichen Autos, im Getöse der Diskotheken und Fussballstadien), und diese grosse Menge an Tod, die die Ideen gekostet haben, kann gar nicht anders als unser Gewissen zu bedrücken. Wird dies nun aber dazu dienen, denselben Apparat in Gang zu halten, der das alles angerichtet hat? Nein, sondern auf vernünftigere Weise vielmehr dazu, dass man wie folgt zu sprechen lernt: “Das Römische Imperium erfüllte seine Aufgaben, und es erfüllten die ihrigen das Königreich von Kastilien und das von Aragon, und ebenso das Britische Weltreich und die Unabhängigkeit von Venezuela, infolge derer wir bis hierhin kommen konnten. So musste es sein, da es ja schliesslich so gewesen ist. Aber das ist bloss die Geschichte, und wir, wir sind nicht in der Geschichte, sondern in dieser gegenwärtigen Situation.”

Ja, mehr noch: da die Verwaltung in ihrer Konstitution nicht ohne die Idee der Staaten auskommt, wird man den enormen Wirren und Schwierigkeiten ins Auge sehen müssen, die diejenigen erwarten, die sie wieder in die einfache Verwaltung von Gemeinschaften seitens der Leute zurückverwandeln wollen: weder noch mehr Freie Grönlande noch das Einige und Grosse Europa, womit man nur die Staatliche Administration unter verschiedenen Namen wiederholt, am Leben hält und erweitert, nicht noch mehr Regierung vom Zentrum aus und von den Höhen herab, sondern eine minimale Regierung von unten und gemäss der Regel des “Je weniger, desto besser”.

Hart ist die Veränderung, jawohl; aber dafür, was für eine Ermutigung, an die ausserordentlichen Ersparnisse zu denken, die das mit sich bringt: an Zeit, an Energie, an Lügen! — Allein schon bei der Vorstellung, diese ganzen Ideale nicht mehr hochhalten zu müssen, weder die Zukunft der Entwicklung noch das weltweite Image Spaniens, allein schon bei der verstohlenen Berechnung der Ersparnis an Papierkrieg, an Gehalt für die leitenden Angestellten, an Bildschirmterror seitens der Computer, an Kongressen, Flugzeugen und an der Produktion von Fernsehnachrichten — allein schon dabei läuft uns, den Leuten, das Wasser im Munde zusammen.

Anmerkungen:

  1. Der Autor bezieht sich auf sein 1987 erschienenes Buch “Manifiesto de la Comuna Antinacionalista Zamorana”.
  2. Dies sind Zitate aus einer patriotischen Ode des spanischen Dichters Bernardo López García, der im Jahre 1840 zur Welt kam und im Jahre 1870 starb.

Die Schlange und die Taube

Aber so, wie der Untergang des Kapitals durch die Liebe zu den Sachen herbeigeführt wird, die das Kapital für Geld tötet, so nährt sich der Zusammenbruch der Staaten von dem Gemeinschaftsgefühl, das Jene zu vernichten versuchen, indem sie es durch die Gesamtmenge der Individuen und die demokratische Mitbestimmung ersetzen. Und man darf die Kraft von Staat und Kapital keinesfalls unterschätzen: sie ist niederschmetternd, weil sie durch das Ideal, die Zahlen und den Glauben in Gang gehalten wird; wohingegen die Kraft, es zurückzuweisen und zum Einsturz zu bringen, die Kraft des Volkes, nicht über diese Waffen verfügt, sondern nur von einem zweifelhaften Appell an die Sinne, von einer Vernunft ohne Ideen, von einer Sehnsucht nach dem Leben lebt. Sodass also, in Anbetracht der Verschiedenheit dieser Kräfte, alle List und Tücke der Welt kaum dazu ausreichen wird, um dieses Gefühl am Leben zu erhalten.

Es zu bewahren hiess zu den Zeiten rückständigerer Herrschaftsformen, es gegen die Unterdrückung zu schützen, gegen die Waffen von Henkern und Truppenaushebern, gegen lokale Bonzen und Inquisitoren; aber in der Wohlstandsgesellschaft bedeutet es vor allem, es gegen die weiter fortgeschrittene Strategie der Assimilation zu bewahren. Jedes beliebige Gefühl kann sich in die Idee seiner selbst verwandeln, womit es schon für seine betrügerische Unterschlagung bereitsteht. So sieht sich zum Beispiel die unschuldige Verteidigung der “Natur” gegen die von Kapital und Staat verursachten Zerstörungen in Ökologie verwandelt und beginnt dadurch, ein Teil der Mechanismen der Entwicklung zu werden; oder nehmen wir die unschuldige Suche nach einer Befreiung von der Unterdrückung der Seele (worin gerade ihre Konstitution besteht), die leicht in Ausschweifungen und Drogenabhängigkeit endet und auf diese Weise ebenfalls in den Dienst des Kapitals zu treten beginnt, indem sie dazu beiträgt, die Lügen der Wissenschaft mit einem Schnörkel zu verzieren und zu vervollständigen.

Was seine Intelligenz betrifft, so kann es der Kapital-Staat der Entwicklung, da er sich auf einen immer abstrakteren und reineren Glauben stützen muss, zum Glück, wie wir gesehen haben, zu keinen besonders grossen Subtilitäten oder Scharfsinnigkeiten bringen, noch auch kann er natürlich der List des Geistes nacheifern, der sich durch die Vermittlung Hegels(1) zum Regenten der Geschichte (und der gesamten Welt) erklären wollte, selbst wenn der Philosoph ihn der Ideation ausgeliefert sein und dazu bereitstehen liess, dass Er, der Geist, sich in dem Haudegen Bonaparte inkarnieren sollte; vielmehr muss sich die Macht mit einer gewissen Idiotie zufriedengeben, die derjenigen ähnelt, die Sie in den Individuen ihrer Massen heranzubilden versucht. Nichtsdestoweniger reicht es aber dazu aus (wir fühlen sehr wohl jeden Tag die Stärke der Dummheit), die Leute an der Nase herumzuführen, sie in die Berechnungen und Projekte des Kapital-Staates zu verwickeln und sie dazu zu bringen, dass sie seinen Lügen Glauben schenken und sie sich als eigene Ideen aneignen, bis sie schliesslich sterben, die Leute, ohne sich dessen, was geschehen ist, im mindesten bewusst geworden zu sein.

Aus diesem Grunde darf das rebellische Volk also nicht in die Falle des Purismus tappen: man kann nicht rein sein in dieser Welt, sondern muss sich vielmehr krümmen und mit Tricks und Verstellungen die Zartheit des Herzens zu bewahren versuchen. Das ist bekanntlich auch die Empfehlung des Evangeliums (Matthäus 10, 16): “Sehet, wie ich euch wie Schafe mitten unter Wölfe schicke: seid also listig wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben.” Dies ist mehr oder weniger die vernünftige Taktik; und der Druck, den man auf die Personen ausübt, damit ihr Gewissen von ihnen Reinheit, Aufrichtigkeit und Folgerichtigkeit verlangt, ist vielleicht die letzte und schwierigste aller Fallen, insofern sie uns ja im Namen der Wahrheit gestellt wird. Wahrheit verlangten von einem die Polizeikommissare (“eine ehrliche Aussage”) in vergangenen Epochen des Regimes;(2) Wahrheit verlangen von einem die Untersuchungsbeamten des Fiskus (“eine aufrichtige Erklärung”) in den weiter fortgeschrittenen Etappen desselben Regimes.

Aber hierbei kommt es darauf an, die Unvollkommenheiten und die inneren Unstimmigkeiten des Regimes auszunutzen, die, wie wir in dieser Analyse festgestellt haben, manifest zu Tage treten (die Vollkommenheit ist nur sein Ideal und seine Zukunft) und die einzige Quelle der Zuversicht für das Leben und die Vernunft sind; und um sich diese Unstimmigkeiten und Lücken zunutze machen zu können, wird man selbst zu nichts anderem Zuflucht nehmen können als zu seinen eigenen Lücken und Unstimmigkeiten: denn in den Unvollkommenheiten, die man als Person hat, ist es, wo das Volk in einem steckt. Es ist zur Bewahrung dessen, was in uns vom Volk, von der Erinnerung daran, was vor der Geschichte kam, und von der schlichten Ablehnung der Ideen (der Waffen der Macht) noch übrig ist, dass die unaufhörlichen Listen der Schlange erforderlich wurden. Es versteht sich dabei natürlich von selbst, dass dann, wenn es keine Taube gibt, auch keine Schlange mehr nötig ist.

Die Seele darf sich also nicht von denen, die von ihr Aufrichtigkeit und die Übereinstimmung ihrer Worte mit ihrer Lebenspraxis verlangen, zur Kasse bitten lassen: denn das Sprechen oder Nachdenken des Volkes ist Praxis und Theorie zugleich, und einer ist nicht das Volk: Es ist nicht, als ob einer die Revolution (oder die Liebe) machte, oder als ob einer ins Paradies kommen könnte.

Anmerkungen:

  1. Georg Wilhelm Friedrich Hegel war ein deutscher Philosoph, der von 1770 bis 1831 lebte.
  2. Der Autor bezieht sich offensichtlich auf die Franco-Diktatur.

Von der Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem

Es ist nun schon einige Tage her, dass wir uns ein wenig damit auseinandergesetzt haben, wie es kommt, dass die Fortentwicklung des Kapitals (und des Staates, was dasselbe ist) die Verherrlichung des Menschen mit sich gebracht hat, soll heissen, das Persönliche Individuum, den “Maximierer der Gewinne”, wie es jener hervorstechende leitende Angestellte formulierte, den an das Geld glaubenden und durch seinen Glauben konstituierten Menschen, aus dem die Massen von Individuen gebildet werden, die, da jeder einzelne das seinige will, insgesamt das wollen, was Staat und Kapital ihnen befehlen. Daher ist es auch gar nicht verwunderlich, dass das Privatleben, der heilige Respekt vor der Privatsphäre (privacy: die Briten sind uns bei der Prägung dieses Ausdrucks zuvorgekommen), vor den Ansichten und Geschmacksurteilen jedes einzelnen, im Wohlfahrtsstaat aufgeblüht ist wie nie zuvor.

Während die Häuser durch die Stockwerke der Wohnblocks aus Massengruften ersetzt werden,(1) erweisen sich die Mauern, die sie einfassen, obwohl sie notwendigerweise dünn sind und zum ständigen Versagen der Geräuschisolierung neigen, zur selben Zeit trotzdem als trennender und unantastbarer als je zuvor, mit dem Ergebnis, dass kein Bewohner jemals in seiner Nische herausfinden kann, dass sein Nachbar in seiner eigenen Nische vor genau derselben Fernsehsendung ruht, aber vermittels seines eigenen Bildschirms. Während der Nutzen der Eisenbahnstrecken, Züge, Strassenbahnen und sonstigen sinnvollen Transportmittel zerstört wird, entwickelt man zur selben Zeit das Persönliche Auto als Mittelpunkt und Symbol der Demokratie, mit dem Ergebnis, dass alle mehr oder minder zu denselben Tageszeiten an denselben Ort fahren, aber jeder einzelne auf eigene Faust.

Dies alles weist darauf hin, von welch extremer Bedeutung für das Regime die Person ist, und zeigt, dass es, je mehr die Macht (die das Geld ist) in das Leben und die Vernunft eindringt und sich ihrer bemächtigt, desto notwendiger wird, die Fiktion aufrechtzuerhalten, dass es ein Privatleben gäbe, in dem kein anderer als man selbst das Sagen hätte (oder meinetwegen man selbst und seine Familie), und dass, der alten demokratischen Maxime entsprechend, die diesem ganzen Klüngel als Ausgangspunkt diente, “die eigene Freiheit dort endet, wo die des anderen beginnt”, und so weiter.

Genau dies aber sollte die Inkonformen darauf hinweisen, dass dort die letzte und verfänglichste Falle steckt, der die Macht die Naivität der Rebellen zum Opfer fallen lässt: nämlich in der Unterscheidung zwischen einer Ethik (wie man sich dem Diktat seines Gewissens zufolge zu verhalten hat) und einer Politik (des Höheren natürlich), die das Spielfeld ist, auf dem sich die Personenverbände, Wirtschaftsunternehmen, Gewerkschaften, Staaten und sonstigen Öffentlichen Einrichtungen betätigen. Und wenn man auch die Ethik gelegentlich dazu bringt, in die Politik einzugreifen (zum Beispiel in dem Geschrei gegen die Gewalt von terroristischen Vereinigungen oder von Mädchenschändern, oder zum Beispiel in den Gerichtsverfahren, in denen ein paar aus den unrechtmässigen Inhabern einer gewissen Gewalt ausgewählte, aber geringfügig von den geltenden Normen abgewichene Persönlichkeiten der Korruption angeklagt werden), dann weiss man doch schon genau, welchem Zweck das dient: nämlich dem der Ablenkung von der allgegenwärtigen und völlig legalen Korruption, auf der das Spiel des Kapitals sich gründet, von der alltäglichen Gewalt, die Staat und Kapital auf die Bevölkerung ausüben, indem sie ihr den Tod schon während des Lebens verabreichen, und von der allgemein vorherrschenden Prostitution oder Unterwerfung unter das Geld, zu der man die Kinder verurteilt, ebenso wie jeden Normalsterblichen; kurz und gut, zu dem Zweck, eine Politik zu lähmen, die sich von unten aus gegen das Imperium des Geldes erheben könnte.

Deshalb ist es auch so dringend notwendig, dass die Beziehungen zum Beispiel mit dem Fiskus so strikt privat sind, sodass jeder einzelne persönlich für seine Güter vor der Verwaltung des Guten Rechenschaft ablegt; oder dass die Liebesbeziehungen in genau derselben Weise eine intime und private Angelegenheit sind, in die niemand anders seine Nase stecken darf. So erreicht man nämlich, dass der Herr (Staat und Kapital) weit mehr als nur seine Nase sowohl in die steuerlichen als auch in die amourösen Beziehungen steckt, was sie in ein Instrument der Unterwerfung unter seine Herrschaft verwandelt. Die Respektierung der Privatsphäre verbürgt die rechtmässige Ausübung der Tyrranei.

Und deswegen ist die erste Massnahme von dieser anderen Seite, also von unten aus, folgende: Dass das Haus sich öffne! Dass es kein Privatleben mehr gebe, dass es keine einzige Geste oder Handlung mehr gebe, weder Finanzamt noch Liebe, die nicht öffentlich und politisch wäre (wie es ja auch in der Tat der Fall ist, auch wenn sie es nicht sein will), und dass das persönliche Glück oder Unglück zu nichts anderem mehr diene als dazu, ein Beispiel für die allgemeinen Verhältnisse zu sein.

Einmal mehr geht uns die Sprache des Volkes mit gutem Beispiel voran und dient uns als Quelle der Zuversicht: sie, die allen ein Zuhause bietet, weil sie niemandem gehört und jedem beliebigen zur Verfügung steht, der einzige menschliche Reichtum, den wir umsonst erhalten und der daher in einem immerwährenden Kriegszustand mit dem Gelde lebt.

Anmerkungen:

  1. Der Autor gebraucht hier ein unübersetzbares Wortspiel, indem er die korrekte spanische Bezeichnung “vivienda”, wörtlich “ein Platz zum Leben”, durch das erfundene Wort “murienda” ersetzt, wörtlich “ein Platz zum Sterben”.

Der Spiegel, den uns die Aussenbezirke der Entwicklung vorhalten

Aber die Öffnung des eigenen Hauses und seine Freigabe für die Allgemeinheit implizieren auch, dass sich der Herrschaftsbereich der Entwicklung, das Haus des Wohlstandsmenschen, ebenfalls für die aussen Davorstehenden, für die Allgemeinheit der darumherumlebenden Leute öffnet, wenn auch sicherlich nicht in dem Sinne, dass man die Immigration der Armen von draussen in das Haus des Menschen und des Geldes veranlasst und reguliert, wie es im Moment geschieht, sondern eher ein wenig in dem gerade umgekehrten Sinne, das heisst den Überlegungen entsprechend, die wir jetzt und bis zum Abschluss dieser Analyse in aller Kürze noch anstellen werden, indem wir erneut an die Bemerkungen anknüpfen, die wir zu Beginn derselben gemacht haben, nämlich in den Kapiteln 3 und 4, als wir darlegten, wo sich die Entwicklung befindet und wieso das fremde Unglück und die fremden Greuel die eigenen sind.

Es ist unbestreitbar, dass die epidemischen Hungersnöte, die Seuchen und das Elend, die Kleinkriege antiquierter Machart (wie in der Reaktivierung des “Vulkans der Balkanstaaten”), die Diktaturen der Religionsführer oder Pistolenhelden, die sich überall rühren, von Persien bis Malaysia, in Lateinamerika und im gesamten Afrika von Kapstadt bis nach Marokko, dass die ganze frisch zusammengekochte Vorgeschichte, die die Entwicklung umrahmt und die Bildschirme ihrer Fernsehgeräte nährt, sie nicht aus purem Zufall umrahmt und ernährt oder auf irgendwelche in ihr enthaltenen “natürlichen Ursachen” zurückzuführen wäre (nichts ist unter den Menschen natürlich), sondern vielmehr durch die Entwicklung in Szene gesetzt wird, um das Reich des Wohlstandes am Leben zu erhalten. So kommt es, dass das, was sich in seinem Inneren abspielt, auch in dem in Erscheinung tritt, was sich ausserhalb seiner ereignet.

Falls es also irgendwen geben sollte, der nicht mehr die nötige Sensibilität dazu aufbringt, um den Schrecken, das Elend und die Fälschungen des Regimes auf direkte Weise und hier in seinem Inneren wahrzunehmen, wenn er noch nicht genug hat mit den Vorstadt-Konglomeraten und den Häuserblocks der kleinen Nischen mit ihrem die Augen der darinsitzenden Gespenster erleuchtenden Fernsehgerät, mit dem immer mehr zunehmenden Chaos des automobilistischen Strassenverkehrs (kann man sich vielleicht den Genuss und die Wonne nicht einmal mehr vorstellen, die diese Strassen, diese Wälder sein würden, wenn das Automobil nicht unter uns wäre?) oder mit den wachsenden Scharen junger Leute, die sich an allen Ecken und Enden aus Langeweile übergeben müssen — wenn es irgendsolche Leute gibt, die es so weit gebracht haben, all dies als natürliche Erscheinungen aufzufassen und zu meinen, dass “die Zeiten es so mit sich bringen”, und die es also kaum noch spüren — denen könnte es passieren, dass ihnen das die Entwicklung umgebende Äussere als eine Art Spiegel dient, in dem sie deutlicher sehen, was der Wohlstand ist; in anderen Worten, im umgekehrten Sinne wie dem, in dem die Medien den Massen jene Schandtaten der anderen servieren, damit sie sie bejammern, ab und zu ein Almosen spenden (genauso wie in den Zeiten vor der Entwicklung die Nönnlein für die kleinen Chinesen Spenden sammelten, die vom christlichen Glauben noch nicht erreicht worden waren) und sich jedenfalls mit dem Gedanken daran beruhigen und zufriedengeben, wie gut wir doch dran sind, wir, die wir von all diesen Sachen verschont bleiben — hier also im umgekehrten Sinne: nämlich so, dass dieser Spiegel sie dazu veranlasst, sich die wahre Natur des Wohlstandes einzugestehen, in dessen Genuss wir gekommen sind.

Ich denke dabei vor allem an die Kraft des Ideals, das jene Milliarden von Burschen und Mädchen aus den Aussenbezirken der Entwicklung dazu bewegt, sich auf jede nur erdenkliche Weise hierher, ins Innere, wie in ein Paradies zu begeben und sich ihrem Retter, dem Geld, auszuliefern: die Schiffe der Albaner, die, in dichten Menschentrauben an der Reling gedrängt, versuchen, an den Küsten Italiens zu landen, die Schaluppen, gerammelt voll mit Marokkanern, die aus ihren schweinischen Verhältnissen flüchten (jene berühmte Perle in der Halskette der Elendstyranneien, die sich die Entwicklung zu ihrem eigenen Schmuck umgelegt hat) und in der Meeresenge von Gibraltar herumplätschern, die Unzahl von jungen Frauen aus den ruinierten Ländern derjenigen Regime, die die Entwicklung uns, zur Täuschung und Einschüchterung der Bevölkerung, 40 Jahre lang als “die andere Gestalt der Macht” präsentiert hat — jene Frauen, die sich nunmehr zu den Verkehrsadern der Pforten des Paradieses auf den Weg machen, um sich sehnsüchtig an die Insassen der aus dem Wohlstand kommenden Automobile zu prostituieren...

So stark ist die Faszination, die das Reich der Entwicklung auf die Nachwuchsgenerationen ihrer Umgebung ausübt; und nur Gespenster können auf diese Art und Weise faszinieren. Derjenige, der, obwohl er die Macht der missgebildeten Wunschvorstellungen in diesen Herzen der Elendsbezirke sieht, es dennoch nicht fertigbringt, in ihnen wie in einem Spiegel das Illusorische, Falsche und Tyrannische des Wohlfahrtsstaates zu erkennen, in dem wir uns herumschmeissen — dieser ist wahrhaftig schon ganz und gar taub und blind geworden und nur noch dazu in der Lage, alle Substitute des Lebens und der Vernunft brav herunterzuschlucken.

Möge das Volk in diesem Spiegelbild gegen das, was ihm als Welt verkauft wird, die Kraft des Ekels und des Widerwillens finden!

Nicht mit den Zeiten gehen

Schliesslich und endlich, um es damit für dieses Mal genug sein zu lassen, könnten vielleicht, ebenso wie sich das Elend und die rückständigen Tyranneien, mit denen sich die Entwicklung umgibt, möglicherweise in einer Art und Weise benutzen lassen, die derjenigen, in der sie die Medien der Massenbildung benutzen, entgegengesetzt ist, also nicht um die Massen in einen sinnlosen Schrecken zu versetzen und sie spüren zu lassen, wie gut es ihnen im Wohlstand doch geht, sondern um das, was der Wohlstand in Wirklichkeit ist, zu enthüllen wie in einem Spiegel — in analoger Weise könnten vielleicht die paläolithischen Barbareien und die Grausamkeiten des Mittelalters, die Martyrien der Inquisition, die Kriege der Nazis und der Japaner, die napoleonischen Blutbäder, die Invasionen der Tartaren oder die Kriegsgemetzel der Römer (Bilder, die uns ebenfalls Tag für Tag vom unersättlichen Fernsehen erneut vor Augen gebracht werden, damit die zutiefst erschütterten Zeitgenossen, in ihren Sessel versunken, zur Kenntnis nehmen, wieviel Fortschritte wir gemacht haben und in den Genuss welches Grossen Friedens wir gekommen sind) genauso auf die umgekehrte Art und Weise gebraucht werden, nämlich um mit ihrer Hilfe, als ob sie Karikaturen ein und derselben Sache wären, besser die Grausamkeiten, Qualen und Akte des Mordens wahrzunehmen, aus denen sich der Staat der Entwicklung zusammensetzt.

Derjenige, der im Verbrennungsmotor jeder Autobusladung von Pensionären die Flammen des Scheiterhaufens, die an den Füssen der Jeanne d’Arc(1) oder Giordano Brunos(2) lecken, in den Gespannen der unter den Schultornistern der Kultur zusammengekrümmten Kinder das Dahinmeucheln der Unschuldigen unter Herodes,(3) im Papierkrieg und Computer-Bildschirmterror unserer Bürokratien das Aufblitzen der Dolche und das Knirschen der Knochen im Feldzug von Troja oder in dem vom Gurugu,(4) im entgegenkommenden Lächeln oberhalb der Krawatte des leitenden Angestellten während des Geschäftsfrühstücks das unheilvolle Lächeln aus dem Film über Tamerlan(5) oder das des seine Kriegsgefangenen ins Blutgemetzel schickenden Bokassa(6) zu erkennen weiss — der wird vielleicht aus dem Bilderrepertoire der Geschichte einen gewissen Nutzen zu ziehen verstehen.

Alle historischen Epochen sind in dieser präsent, die selbst aber überhaupt keine Epoche ist.

Die wirklich inkonformen oder rebellischen Leute können überhaupt nicht an die Geschichte glauben: dieser Glaube an die Geschichte wird nämlich von Staat und Kapital kultiviert und gefördert, und zwar in der Absicht, dass die Individuen der Masse, indem sie an die Existenz der anderen Epochen glauben, ebenfalls an die Zukunft glauben, zu der sie von Kapital und Staat verurteilt worden sind; und dass sie ferner, wenn sie glauben, dass es andere Epochen gibt, auch noch den Glauben annehmen, dass dieses ebenfalls eine Epoche ist (tatsächlich produziert ja das Fernsehen, allein schon durch die Operation des Einrahmens auf dem kleinen Bildschirm, Geschichte aus der puren Gegenwart), und da es ja bekannt ist, dass in den Epochen keine anderen Leute leben als etwa Xerxes(7) oder Napoleon, also die Toten, so ist das Verabreichen des Todes an die Massenpersonen auf diese Art und Weise schon zur Tatsache geworden.

Nun ist es aber doch klar, dass die anderen Epochen nichts anderes sind als Vorstellungskomplexe, die einen Teil von dem bilden, was uns selber gerade zustösst; und dass dieses überhaupt keine Epoche ist, sondern lebendige Zeit, Zeit, in der wir sprechen, solange wir sprechen, die Zeit, die man umbringen und als gestorbene Zeit in Gestalt der Uhrzeiten und der Geschichte hinter sich lassen möchte.

Deswegen also darf man nicht an die Zeiten glauben; und das Mit den Zeiten Gehen, diese überall vorherrschende Sucht danach, auf dem Laufenden zu sein (vom leeren Geschwätz der Motorradjünglinge bis zu den Radfahrerkongressen der Kulturmenschen), ist die beste Methode, um dem Geld und der Macht zur Beute zu fallen, ist also der Tod.

Niemals also mit den Zeiten gehen! Die letzte und wahrhafte Revolution ist die der Toten, die sich dem Totsein verweigern; und der greifbare und aktuelle Beweis dafür ist der, dass es unterhalb der etablierten Herrschaft immer ein Herz gibt, das weiterschlägt, das “Wie gut das ist!” zu sagen versteht und das “Nein” zu sagen versteht, und dem die Moden und Tagesordnungen dabei schnurzegal sind.

Und es gibt keine Eile dabei. Das Volk geniesst diesen immensen Vorteil, dass es, da es nicht zu existieren braucht, auch niemals stirbt.

Anmerkungen:

  1. Eine französische Nationalheldin und katholische Heilige, die um 1412 herum geboren wurde und am 30. Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
  2. Ein italienischer Astronom und Philosoph, der im Jahre 1548 geboren wurde und, nachdem er als Ketzer verurteilt worden war, am 17. Februar 1600 auf dem Scheiterhaufen starb.
  3. Herodes der Grosse, ein von den Römern über Israel eingesetzter Vasallenkönig, lebte von 74 v. Chr. bis 4 v. Chr. und war, wie das Matthäusevangelium behauptet, für das sogenannte “Massaker der Unschuldigen” verantwortlich.
  4. Der Gurugu ist ein Berg in der Nähe der marokkanischen Nordküste, in dessen Umgebung zu Beginn des 20. Jahrhunderts blutige Schlachten zwischen spanischen Truppen und marokkanischen Rebellen im Rahmen der sogenannten Rifkriege stattfanden.
  5. Timur oder Tamerlan lebte von 1336 bis 1405 und war ein türkisch-mongolischer Eroberer Zentralasiens.
  6. Jean-Bédel Bokassa wurde im Jahre 1921 geboren und starb im Jahre 1996; er war Kaiser des Zentralafrikanischen Reiches.
  7. Xerxes der Grosse war ein persischer Kaiser, der von 485 v. Chr. bis 465 v. Chr. regierte.

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